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Zeitzeugengespräch: Holocaust-Überlebender Pavel Taussig berichtet
Zu Beginn des Abends ergreift Vereinspräsident Dr. Reinhold Lunow das Wort und erinnert daran, nicht nur in die Vergangenheit zu schauen, sondern auch in die Gegenwart. Durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel ist das Thema Antisemitismus aktueller denn je. „Im Namen des BVB möchte ich unser tiefes Mitgefühl und unsere Solidarität mit unseren Freunden und den Zivilsten in Israel aussprechen. Wir müssen entschieden Haltung zeigen gegen Antisemitismus und Hass“, so Lunow. Das Leben und die Geschichte von Pavel Taussig sei „eine mahnende Erinnerung, dass Frieden und Freiheit nie als Selbstverständlichkeit angesehen werden dürfen.“
Als der 89-jährige Pavel Taussig im Gespräch mit Martin Kranz, Intendant der ACHAVA Festspiele Thüringen, von seinem Leben erzählt, ist es still im BORUSSEUM. Die mehr als 100 Gäste hängen an den Lippen des Zeitzeugen. Jeder hört aufmerksam zu, niemand will ein Wort verpassen. Als Taussig im November 1933 in Bratislava in der Tschechoslowakei geboren wird, war Hitler wenige Monate an der Macht. Pavel Taussig wächst in behüteten und wohlhabenden Verhältnissen auf. Seine Eltern lasen ihn taufen und konvertieren selbst zum evangelischen Glauben in der Hoffnung, sich damit vor antisemitischer Verfolgung schützen zu können.
Ausgrenzung und Repression
„Ich hatte Vorteile dadurch, durfte zum Beispiel eine öffentliche Schule besuchen“, erinnert er sich. Seine Eltern haben ihm verheimlicht, dass er jüdische Wurzeln hat. Er wird in der Schule ausgegrenzt, weiß aber nicht warum. Die Taufe ist ein Schutz für eine gewisse Zeit, aber nicht für immer. Als im März 1939 unter Druck der Hitler-Regierung der von Deutschland abhängige slowakische Staat gegründet wird, beginnen nationalsozialistische Ausgrenzung und Repression der jüdischen Bevölkerung. Erst da erfährt Pavel Taussig von seinen jüdischen Wurzeln. „Wir müssen ein ernstes Gespräch mit dir führen“, sagen die Eltern am Tag des Befehls, dass Kinder mit jüdischen Wurzeln nicht mehr im Park spielen dürfen. Der kleine Pavel verbringt jeden Tag im Park. „Ich fühle mich schlecht dabei, falsch behandelt. Ich habe nichts Schlechtes gemacht und durfte trotzdem nicht in den Park. Und ich hatte noch andere Verbote“, erinnert sich Taussig heute.
Schließlich werden Juden gefangen genommen. Die Familie kommt in ein Sammellager, aus dem die Züge hauptsächlich nach Auschwitz fahren. „Wir waren nur sehr kurz im Sammellager. Gemessen an dem, was später noch kam, war es ein Erholungsheim.“ Die Gefangenen werden für den weiteren Transport in Viehwaggons getrieben. Für den kleinen Pavel fühlt es sich an wie ein Schulausflug mit Eltern. „Sie waren sehr bemüht, mir nichts Unangenehmes zu sagen. Das klappte bis zu dem Zeitpunkt, als sich ein Mitreisender die Pulsadern aufgeschnitten hat.“ Die Zuhörer erschrecken hörbar bei dieser Aussage, die der Zeitzeuge wie sein gesamtes Leben ruhig und bedächtig vorträgt. Viele Jahre hat er geschwiegen, seit mehr als zehn Jahren kämpft er mit seiner Geschichte gegen das Vergessen.
Deportation nach Auschwitz-Birkenau
Am 3. November 1944 wird die Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert, drei Wochen vor Pavels elftem Geburtstag. „In Auschwitz war es so, wie man es von den Bildern kennt. Wir sollten uns aufreihen und wurden anschließend in unsere Baracken geführt. Alle, die schon länger da waren, blieben stehen und starrten uns an. Wir konnten nicht verstehen, was an uns so außergewöhnlich war.“ Zuvor gab es keine Kinder in Birkenau, sie wurden sofort in die Gaskammern geschickt. Pavels Zug ist der letzte Transport, der im Konzentrationslager ankommt und aus dem die Gefangenen aussteigen müssen. Selektiert und vergast wird nicht mehr, sodass neben Kindern auch Alte und Invaliden im Lager sind.
Die Eltern geben ihr Kind als 14-Jährigen aus, damit er eine Häftlingsnummer tätowiert bekommt. „Wenn sie sich die Mühe machen, ihn zu tätowieren, werden sie ihn nicht am anderen Tag umbringen, sondern ihn noch brauchen“, so ihr Gedanke. Im Lager verliert Pavel Taussig den Kontakt zu seinen Eltern, die er erst nach der Befreiung wiedersehen wird. Januar 1945 kommt der Befehl, auf einen sogenannten Todesmarsch zu gehen.
Nach dem Vernichtungslager Auschwitz kommt er in das KZ Mauthausen, anschließend in dessen Außenlager Melk, wieder zurück nach Mauthausen und zuletzt in dessen Außenlager Gunskirchen. Das letzte Lager ist noch nicht fertig gebaut. Es regnet durch das Dach und es gibt keine Wasserzufuhr. „Ich wollte aus einem Wasserbecken trinken. Doch als ich hineingriff, merkte ich, dass dort eine tote Frau lag.“ Wieder erschrecken die Zuhörer im BORUSSEUM, ungläubige Gesichter. „Das letzte Lager Gunskirchen war so schrecklich und ich war so dem Sterben nah, dass ich wenige Erinnerungen habe“, sagt Taussig. Nachdem er mehrere Lager und Todesmärsche überlebt, wird er am 4. Mai 1945 befreit, ein halbverhungertes, schwerkrankes Kind in Lumpen. Pavel hat eine lebensbedrohliche Tuberkulose: „Ich war traurig. ‚Jetzt bin ich zwei Tage in Freiheit und werde sterben‘, dachte ich.“ Erst nach einem Jahr Aufenthalt in einem Sanatorium in der Hohen Tatra ist er wieder gesund.
Leben als Redakteur
Taussig hat im Rahmen des Zeitzeugengesprächs ausführlich von den tragischen Ereignissen seines Lebens erzählt. Nach dem Studium wird er in Bratislava als Redakteur einer satirischen Zeitschrift arbeiten, später für Pardon und Titanic. Heute lebt er in Frankfurt am Main.
Als Taussig das letzte Wort gesprochen hat, wird es wieder laut im BORUSSEUM. Das Publikum dankt ihm mit minutenlangem Applaus. „Es war wieder ein faszinierender Abend. Ich freue mich immer wieder, Menschen zu treffen, die dieses Schicksal erlebt haben und es uns vermitteln, damit wir aus der Geschichte lernen“, so Dr. Reinhold Lunow.