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Wie entsteht ein Trikot?
Auf den Verein und seinen bewährten Ausrüster (seit 2012) wartet ein Marathon. Der Teufel bei diesem Entwicklungsprozess steckt im Detail. Zwischen der Präsentation der Erst-Idee und dem Verkaufsstart eines neuen Heimtrikots liegen knapp zwei Jahre. Carsten Cramer, für die Bereiche Vertrieb, Marketing und Digitalisierung verantwortlich, spricht von einem „sehr abstimmungsintensiven Vorgang“, bei dem es verschiedene Grundsatzparameter zu beachten gibt. PUMA gibt in diesem Prozess die Ideen auf den Tisch, „und wir“, sagt Cramer, „retournieren sie dann“. Am Ende soll die Zusammenarbeit von Klub und Ausrüster möglichst zu einer Erfolgsstory werden; sie besteht aus sechs Akten.
Erster Akt, Spätsommer 2019
Eine kleine Delegation von PUMA trifft sich mit den BVB-Fachleuten. Die PUMA-Abgesandten erläutern den ganzheitlichen Rahmen, den die kreativen Köpfe aus ihrem Haus im Fußballjahr 2021/22 setzen möchten. Mit den BVB-Vertretern erörtern sie anschließend: Welche Dortmunder Einfälle lassen sich gegebenenfalls in dieses Konzept integrieren? Wieder müssen drei Trikots parallel entworfen werden: Heim, Auswärts und Cup. Mal ist es nur ein Entwurf, aus dem ein Trikot entsteht, mal sind es verschiedene, die dazu führen, dass später mehrere Konzepte auf dem Tisch liegen. Auch über technologische Innovationen informiert PUMA bei einer ersten Zusammenkunft. Ein Beispiel: Nach vier Jahren Entwicklungszeit bringt das Unternehmen mit „Ultraweave“ ein extrem leichtes und sehr dünnes Trikot heraus, das nur noch 100 Gramm statt bisher 200 Gramm wiegt. „Ultraweave“ besteht aus Drycell, einem recycelten Polyester, das schnell trocknet, die Wasseraufnahme reduziert und zudem als sehr strapazierfähig und atmungsaktiv gilt. In Serie gehen derlei Neuerungen erst nach einer positiven Begutachtung durch die Protagonisten. „PUMA möchte am Leistungssportler zeigen, dass sie nicht nur schicke Produkte herstellen, sondern auch welche, in denen sich die Sportler wohlfühlen“, erklärt Cramer.
Zweiter Akt, Herbst 2019
Bei PUMA konstituiert sich ein Kernteam aus fünf Spezialisten, das den gesamten Prozess begleitet, darunter der für den gesamten Prozess verantwortliche Produktmanager sowie zwei Designer. Auf dem langen Weg bis zur Produktionsreife wächst dieses Team in Herzogenaurach streckenweise bis auf 15 Mitglieder an. Die klare Farbenlehre des Klubs – Heimtrikot mit mindestens 50 Prozent Gelbanteil, Auswärtstrikot schwarz – ist ein wesentlicher Baustein für Borussia Dortmund. Sie setzt den Designern anders als in England, wo nur das Heimshirt in Design und Farbgebung „klassisch“ ausfallen muss, gewisse Grenzen. „Blau oder rot gehen in Dortmund natürlich nicht“, sagt Lucia Walter (Teamhead Graphic Design bei PUMA), „da halten wir uns strikt an die Vorgaben des Vereins. Aber Platz für Kreativität gibt es schon.“
Dabei ist Gelb ja nicht Gelb. Blogger Harald Schendera (Friedberg) notiert 220 (!) verschiedene Gelbtöne, blass- und hellgelb, Schwefelgelb und Kanariengelb, Bananengelb, Papageien-, Bier- oder Dottergelb. Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe veröffentlichte 1810 sein Buch „Zur Farbenlehre“, in dem er die Farbe Gelb mit Attributen wie „prächtig“ und „edel“ assoziierte. Es heißt, dass Gelb die beste Farbe sei, um Begeisterung für das Leben zu wecken und den Optimismus anzuregen. Gelb gilt als die „Sonne unter den Farben“, ist strahlend, soll Hoffnung, Glück und Spaß bieten – und passt deshalb ideal zur Borussia, so wie die stimmungsvolle Südtribüne, die durchaus nicht zufällig als Gelbe Wand („Yellow Wall“) weltweit verehrt wird. Gelb ist deshalb für das Heimtrikot verpflichtend. Doch abgesehen von der Farbgebung und der ebenfalls unverhandelbar guten Sichtbarkeit seines Logos lässt die Borussia ihrem Trikot-Partner freie Hand. „Ansonsten sind wir offen“, beteuert Cramer. „Wenn du zu sehr einengst – wie soll da Kreativität zustande kommen?“
Dritter Akt, Januar 2020
Die erste Musterpräsentation wird anberaumt. Die Vorstellung der Entwürfe erfolgt in Form einer kleinen Show. Models führen die Trikots vor. „Es macht einen Riesenunterschied, ob ein Trikot auf dem Bügel hängt oder ob ein Spieler dieses Trikot trägt und sich bewegt“, meint Dennis Ernst (Senior Product Line Manager bei PUMA). In Dortmund lässt man die Eindrücke sacken. Knapp zwei Wochen hat der BVB Zeit für ein Feedback. „Daran ist bei uns eine Gruppe von acht bis zehn Leuten beteiligt“, verrät Cramer, „wir nehmen relativ viele Leute mit“. Zur Gutachter-Gruppe auf schwarzgelber Seite zählen Marketing-Experten, Mitglieder von Fanabteilung und Spielerrat. Jetzt geht es in der Regel um Kleinigkeiten: Muss man die Grafik noch einmal verändern? Sind Haupt- und Ärmelsponsor angemessen integriert? Wird in den Nacken etwas reingeschrieben? Sieht das Trikot seinen Vorgängern in der jüngeren Vergangenheit womöglich zu ähnlich? Korrekturwünsche und Fragen der Umsetzbarkeit erörtert der Ausrüster mit seiner Entwicklungsabteilung, mit Bekleidungstechnikern und den involvierten Fabriken. „Es ist natürlich schön, wenn man das grundlegende Go schon mit den ersten Mustern kriegt“, betont PUMA-Mann Ernst, „theoretisch kann es dennoch sein, dass ein Trikotdesign komplett verworfen wird und der Prozess von neuem beginnt.“
Vierter Akt, Mai 2020
Eine zweite Präsentation mit geänderten Mustern steht an. Nach einem Dreivierteljahr befindet sich das Projekt in Entscheidungsreife: So sollen die Trikots in der Saison 2021/22 aussehen. Längst wissen inzwischen auch die Direktoren der Borussia Bescheid, die sich einmal pro Woche zu ihren Beratungen treffen. Gemeinsam mit Merchandising-Geschäftsführerin Kerstin Zerbe und ihrer Abteilung überlegt Cramer, welches Textil nur die Mannschaft trägt, was später in den Verkauf gehen wird, wo ein Sponsorenlogo draufkommt und wo nicht.
Fünfter Akt, Oktober 2020
PUMA erteilt den Herstellern der Trikots (hauptsächlich in Vietnam und China) konkrete Aufträge. Die Produktion läuft in hoher Stückzahl an. Im Februar 2021 werden die ersten Paletten auf Containerschiffe mit Bremerhaven als Zielhafen verladen, anschließend erfolgen Weitertransport und Einlagerung bei PUMA, bevor die Reise weitergeht – zum BVB und an die Sportartikelhändler.
Sechster Akt, Mai 2021
Kurz vor dem finalen Saison-Heimspiel gegen Bayer Leverkusen lüftet der BVB das Geheimnis und zeigt sein neues Heimtrikot. Auffallend: die Zebrastreifen-Optik an den Ärmeln. Der Run in den Fanshops beginnt. Erst mit einigem zeitlichen Abstand stellt die Borussia auch die Dienstkleidung für Auswärts- und Pokalauftritte vor. Das Cup-Trikot löst wegen des nicht sichtbaren Klub-Wappens eine leidenschaftlich geführte Kontroverse aus. „Wir haben daraus viel gelernt“, versichert Lucia Walter, „wir haben gelernt, den Fan und seine Bedürfnisse noch mehr in den Vordergrund zu stellen“. PUMA-Chef Björn Gulden gesteht den Fehler ein, beruhigt die Situation und entschuldigt sich. Mehr denn je weiß Gulden jetzt, dass Trikots ein sehr emotionales Thema sind.
„Wir haben gelernt, den Fan und seine Bedürfnisse noch mehr in den Vordergrund zu stellen“
Bei der Frage, welches Trikot attraktiv ist und welches nicht, gehen die Meinungen naturgemäß auseinander. Dass das Feedback auf das Cup-Trikot in Teilen der Fanszene negativ ausfiel, nimmt Geschäftsführer Cramer „grundsätzlich ernst“ und „Kritik erst recht“. Cramer sagt: „Wir nehmen Kritik zur Kenntnis und überprüfen sie auf ihre Berechtigung.“ Aber selbst wenn das Echo laut und unfreundlich wie im vorigen Herbst ausfällt, geht der Marketing-Experte deshalb nicht gleich in die Luft wie einst das berühmte HB-Männchen in der Zigarettenwerbung. „Man wird gelassener, weil es keinen objektiven Geschmack gibt.“
Keine Meinungsverschiedenheiten bestanden bei dem Sondertrikot, mit dem Borussia Dortmund im April vergangenen Jahres den Helden der 90er-Jahre beim 4:1 gegen Werder Bremen ein Denkmal in Schwarz und Neongelb setzte: Es fand reißenden Absatz und war binnen weniger Stunden ausverkauft, obwohl fünf Mal so viele Trikots geordert waren wie bei früheren Sondertrikot-Aktionen. Zwischenzeitlich tummelten sich 150.000 Menschen gleichzeitig im Online-Fanshop, insgesamt 50.000 Trikots wurden bestellt, viele Fans gingen leer aus. Das Shirt musste nachproduziert werden und wurde vier Monate später ausgeliefert.
Warum Retro-Trikots so gefragt sind? „Das ist, als wenn man im eigenen Fotoalbum zurückblättert“, sagt Cramer, „ein Blick zurück verbunden mit Emotionen. Retrotrikots werden mit positiven Erinnerungen verbunden. Damit werden coole, großartige Momente aus der Vereinsgeschichte reanimiert.“ Bei Sondertrikots wie diesem verläuft der Entwicklungszyklus kürzer als im regulären Produktionsprozess. Um so herausfordernder ist es, bei einem besonderen Anlass ein Extra-Shirt an den Start zu bringen: Überall wo es nötig ist, wird Zeit eingespart. Eine Musterrunde muss reichen. Schon nach einem Jahr soll das Trikot auf dem Markt sein. PUMA-Spezialist Dennis Ernst: „Wir klären vorher mit Entwicklern und Herstellern ab, ob das überhaupt möglich ist.“ Die Hommage an die Goldenen 90er- Jahre wird zu einem sensationellen Verkaufserfolg – fast 100.000 Trikots finden einen neuen Besitzer.
In der aktuellen Folge des BVB-Podcast sprechen Denis Othmani (BVB Merchandising) und Dennis Ernst (PUMA) übrigens über die Entwicklung des Heimtrikots 23/24, das von den schwarzgelben Fans designt wurde.
Autor: Thomas Hennecke