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„Wir übernehmen Verantwortung!“
Seit nunmehr einem Jahr beherrscht das Coronavirus unseren Alltag. Es prägt die politische Debatte und den gesellschaftlichen Diskurs. Corona hat auch jenes Thema aus den Schlagzeilen verdrängt, das vor Ausbruch der Pandemie dominant war. Zur Erinnerung: Vor Corona bewegten nicht COVID-19 und SARS-CoV2 die Menschen, sondern FFF – die #FridaysForFuture-Bewegung. Viele Millionen junge Leute weltweit, und dann auch zunehmend ältere, die gegen die drohende Klimakatastrophe auf die Straße gingen.
Die Christian Drosten, Hendrik Streeck, Alena Buyx und Melanie Brinkmann der Vor-Corona-Zeit hießen Greta Thunberg, Carla Reemtsma und Luisa Neubauer. Ihre Forderung: ein konsequenter ökonomischer und ökologischer Wandel. Der Begriff, der über allem schwebt, heißt NACHHALTIGKEIT. Ihm haftet noch immer das Klischee von Jute-Beutel, selbstgestricktem Schafswollpulli und Birkenstock-Sandalen an. Wie kurzsichtig und falsch das ist, zeigen die 17 Sustainable Development Goals – zu Deutsch: Nachhaltigkeitsziele – der Vereinten Nationen. Auch bei Borussia Dortmund hat man schon vor Jahren erkannt: Nachhaltigkeit meint so viel mehr als Öko. Sie meint letztlich: Zukunftsfähigkeit und das Übernehmen von Verantwortung für das eigene Handeln.
Daniel Lörcher leitet beim BVB die Abteilung für Corporate Responsibility, also unternehmerische Verantwortung. Marieke Köhler ist Stiftungsmanagerin von „leuchte auf“. Beide beschäftigen sich also qua Funktion mit der Frage, welche Auswirkungen das Handeln des BVB auf Menschen, Natur und Umwelt hat – und wie die Borussia noch besser werden kann. Deren Gründungsvater Franz Jacobi hat seinen Nachfolgern und den Mitgliedern übrigens für alle Zeiten eine prägnante Botschaft ins Stammbuch geschrieben:
„Die Qualität eines Fußballvereins zeigt sich darin, wie er seinen sozialen Aufgaben gerecht wird. “ Franz Jacobi
Ein Vermächtnis wie in Stein gemeißelt, dessen Bedeutung im Laufe der Jahre und Jahrzehnte nicht etwa verblasste, sondern heute heller strahlt denn je. „Borussia Dortmund übernimmt Verantwortung! Wir legen ein starkes Augenmerk auf nachhaltiges Handeln. Es ist unsere Aufgabe, die Strahlkraft des BVB zu nutzen, um viele Menschen mit Botschaften zu wichtigen Themen zu erreichen“, sagt Hans-Joachim Watzke, Vorsitzender der Geschäftsführung – und macht deutlich, dass Nachhaltigkeit kein Feigenblatt ist, mit dem sich schamhaft die Image-Defizite des Profifußballs bedecken lassen, sondern ein echter Erfolgsfaktor. „Eine verantwortungsvolle Unternehmensführung ist der aussichtsreichste Weg, langfristig unternehmerischen Erfolg zu sichern.“
Nun ist das Fußball-Business nicht per se nachhaltig. Schon deshalb nicht, weil es Mobilität in gigantischem Ausmaß auslöst. Und auch der BVB befindet sich noch auf den ersten Etappen eines langen Weges, der im Rahmen der jährlichen Finanzberichterstattung der börsennotierten Aktiengesellschaft begann. Mit einem Pflichtbericht aufgrund lästiger Berichtspflicht. Inzwischen ist daraus ein Mammutwerk geworden. Der aktuelle Nachhaltigkeitsbericht für 2019/20 umfasst 170 Seiten. Doch der Umfang ist noch kein Kriterium. Er beschreibt bloß Worte, Fotos, Zahlen und Tabellen. Entscheidend sind die Taten und das Engagement, die sich dahinter verbergen. Die mittlerweile nicht nur ungezählten, sondern beinahe unzähligen gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Projekte der Schwarzgelben. „Mit der Gründung der Abteilung für unternehmerische Verantwortung hat der BVB den Schritt von der Berichtspflicht zur Kür vollzogen“, sagt Daniel Lörcher. „Wir haben den Schalter von reaktiv auf aktiv umgelegt.“ Gerade „im sozialen Bereich machen wir schon sehr, sehr viel“, ergänzt Marieke Köhler. „Das Soziale wurde der Borussia ja im Grunde in die Wiege gelegt. Ökologisch haben wir noch viel zu tun. Das ist harte Arbeit – aber auch da machen wir gerade unsere Hausaufgaben.“
WAS DIE BEIDEN MEINEN
- Das Handlungsprogramm von Borussia Dortmund im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung: nachhaltig
- Die Bildungsangebote für Mitarbeitende und Fans im Zusammenhang mit der Erinnerungsarbeit an den Nazi-Terror. Die auch finanzielle Unterstützung für den Ausbau der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem: nachhaltig
- Die Rückkehr zum Mehrwegbecher-System im Stadion: nachhaltig (aber durchaus noch nicht die Optimallösung, geschlossene Kreisläufe sind hier das Modell der Zukunft)
- Die Unterstützung von ehrenamtlichen Initiativen und Fanprojekten, die wichtige soziale und gesellschaftliche Arbeit im Kleinen und oft Verborgenen leisten: nachhaltig
- Das BVB-Lernzentrum und andere Initiativen, die Kindern und Jugendlichen aus finanziell schwächeren Familien und schwierigen Verhältnissen dennoch Bildungschancen eröffnen: nachhaltig
- Das Soforthilfe-Programm zur Unterstützung der von Corona gebeutelten Gastronomie und die zahlreichen weiteren Corona-Hilfen: nachhaltig
- Die Förderung von Wildbienen-Nisthilfen durch das Schulbiologische Zentrum und das Aussäen von Wildblumenwiesen: nachhaltig
Ohnehin wird die Verknüpfung von Ökologie und Bildung über die Stiftung „leuchte auf“ im Jahr 2021 einen Arbeitsschwerpunkt darstellen. Borussia Dortmund möchte schon Kinder für die Bedeutung von Artenvielfalt sensibilisieren. Dass die Biene EMMA, das beliebte Maskottchen der Schwarzgelben, zu den bedrohten Arten gehört, bildet einen auch emotionalen Anknüpfungspunkt.
- Der Start der Nordstadtliga: nachhaltig
„Das wird eines unserer neuen Leuchtturmprojekte“, sagt Daniel Lörcher. Weil die Liga aufgrund von Corona bislang nicht angepfiffen werden konnte, hat der BVB vorab schon Bewegungsvideos und Masken für alle Schulen der Dortmunder Nordstadt zur Verfügung gestellt. „Auf diese Weise können wir zumindest virtuell schon einmal loslegen.“
- Der vegane Catering-Stand im Stadion: nachhaltig
„Das Angebot wird super angenommen“, sagt Marieke Köhler. „Mit den Veränderungen im Ernährungs- und Konsumverhalten der Menschen ändern sich natürlich auch die Ansprüche unserer Fans.“
Die Liste zeigt nur einen winzig kleinen Ausschnitt der Projekte, die bei Borussia Dortmund immer auch unter dem Schlagwort der Nachhaltigkeit laufen. Sie ließe sich noch seitenlang fortsetzen. Doch Daniel Lörcher und Marieke Köhler geht es nicht darum, mit Quantität zu protzen, sondern um echten Wandel. Auch und gerade im Bewusstsein der Kolleginnen und Kollegen. „Wir möchten das Mindset verändern. Es soll eine Haltung entstehen. Das ist auch ein Change-Prozess in der Unternehmenskultur“, sagt Lörcher – und sieht „ganz viel in Bewegung“. Immer mehr Mitarbeitende würden sich aus eigenem Antrieb einbringen, eigene Aktivitäten und Initiativen starten. „Es war ein großartiges Gemeinschaftserlebnis, mit vielen anderen Beschäftigten von Borussia Dortmund für die Kinderwünsche-Aktion 2.000 Pakete einzupacken“, erzählt Marieke Köhler und findet die Vorstellung von einer sehr stark ehrenamtlich engagierten Belegschaft „absolut erstrebenswert“.
Die Arbeit wird Lörcher und Köhler jedenfalls nicht ausgehen. Unterstützung erhalten sie von berufener Stelle. Mit Evonik ist ein weltweit agierender Konzern Nachhaltigkeitspartner von Borussia Dortmund. Die BVB Evonik Fußballakademie macht mit ihren Angeboten auf dem Gelände Am Rabenloh sowie an vielen anderen Standorten in Deutschland, Europa und auf anderen Kontinenten nicht nur aus talentierten Kickern richtig gute Fußballer. Sie vermittelt dabei vor allem auch jene Werte, die dem Klub am Herzen liegen. Mit der Dortmunder Stadtwerke AG – DSW21 kam Anfang 2021 ein zweiter Nachhaltigkeitspartner hinzu. Das Verkehrsunternehmen fährt bei jedem Heimspiel rund 30.000 Fans mit seinen Bussen und Stadtbahnen zum SIGNAL IDUNA PARK und wieder nach Hause. Die Bahnen fahren mit 100 Prozent Strom aus regenerativen Energien. Die Busflotte stellt DSW21 von diesem Jahr an peu à peu auf E-Busse um.
Wo Borussia Dortmund beim Thema Nachhaltigkeit noch Baustellen und – positiv ausgedruckt – viel Potenzial nach oben hat: bei der Reduzierung der Abfallmengen und der Optimierung von Lieferketten zum Beispiel. „Wir führen intensive Gespräche mit unseren Lieferanten, prüfen auch, ob es Alternativen gibt und werden einen Lieferantenkatalog erstellen“, sagt Daniel Lörcher.
Und dann ist da natürlich noch die Mammutaufgabe der energetischen Optimierung im Trainings- und Spielbetrieb. „Das Stadion“, weiß Marieke Köhler, „ist alleine schon aufgrund seines Alters eine schwierige Immobilie.“ Zwar erzeugen großflächige Photovoltaikanlagen auf den Dächern Strom aus Sonne, vor allem an Spieltagen aber ist das schönste Fußballstadion der Welt ein ganz schön hungriger Energiefresser. Deshalb wird Borussia Dortmund jetzt einen „Masterplan Stadion“ erarbeiten. Über eine Machbarkeitsstudie wird derzeit schon geprüft, ob das Grubenwasser in den Bergbaustollen unter der Stadt zum Heizen genutzt werden kann. Ein Zisternensystem könnte Regenwasser auffangen und für Toilettenspülung und Rasenbewässerung nutzbar machen.
„Das sind große Projekte, die hohe Investitionen auslösen. Deshalb werden wir das Schritt für Schritt angehen“, sagt Marieke Köhler und beschreibt ein Problem, das immer dann auftritt, wenn Alt-Immobilien modernisiert und nachgerüstet werden müssen. Auf Hohenbuschei in Brackel ist das anders. Beim Trainings- und Leistungszentrum des BVB wurden Aspekte der energetischen Optimierung schon bei der Planung berücksichtigt. Die neue Geschäftsstelle Sport verfügt über eine eigene Energiezentrale. Das Gebäude steht unmittelbar vor der Zertifizierung für nachhaltiges Bauen. Ein weiterer Punkt auf der To-Do-Liste, der abgearbeitet ist: nachhaltig.
Gut so, denn der Klimawandel ist durch Corona nur aus den Schlagzeilen verdrängt. Gestoppt ist er nicht. Und viele andere Nachhaltigkeits-Themen hat Corona sogar erst freigelegt. Merke: Ein Fußballspiel kann man mit wenigen Aktionen entscheiden. Die Welt jedoch lässt sich nicht in 90 Minuten retten ...
Autor: Frank Fligge
Fotos: Alexandre Simoes