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„Unsere Strahlkraft nutzen“
Eine Fußballmannschaft besteht aus elf Spielern. Immerhin sieben Personen umfasst der Kreis jener inzwischen 913 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Borussia Dortmund, der sichausschließlich um die Themenfelder soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit kümmert. „Der Fußball“, sagt Watzke, „hat eine grundsätzliche Verantwortung, weil er eine der wenigen verbliebenen Institutionen ist, die die Gesellschaft verbindet.“
„Nachhaltigkeit ist zum Bestandteil unserer Geschäftsstrategie geworden“, bekräftigt Marieke Köhler, Leiterin der Abteilung Corporate Responsibility bei Borussia Dortmund. Sie betont: „Wir bekennen uns zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung. Wir gehen verantwortungsvoll mit unseren Ressourcen um, weil wir ansonsten gar nicht mehr zukunftsfähig sind. Wenn wir daran nicht arbeiten, verlieren wir unsere Existenzgrundlage.“ Sie erläutert: „Zum Konzept der Nachhaltigkeit gehört sehr viel mehr als nur das Thema Ökologie.“ Es gehe um Unternehmensführung, um interne soziale Themen, um das klassische gesellschaftliche Engagement, das Borussia Dortmund erstmals in der bereits im Jahr 2012 gegründeten Stiftung „leuchte auf!“ bündelte. „Denn diese vielen Themen haben ja nichts mit unserem Geschäftsmodell oder Governance-Strukturen zu tun.“
Schon 2016 hat Borussia Dortmund damit begonnen, ökologische Verantwortung zu definieren. Es sei „kein Zufall, dass wir seit 2012 eine Photovoltaik-Anlage auf unserem Stadiondach haben, kein Zufall, dass wir seit sechs Jahren hundertprozentigen Ökostrom beziehen“, verweist Geschäftsführer Carsten Cramer. Fußball-Bundesliga ist die erste Profisportliga, die sich das Thema Nachhaltigkeit verpflichtend auf die Fahne geschrieben hat. Ein zweistufiges Verfahren zählt seit dieser Spielzeit zu den Lizensierungskriterien. „Alle Klubs sehen eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung des Fußballs“, hebt Watzke hervor. Und der Vorsitzende der Geschäftsführung fügt hinzu: „Der Einstieg war wichtig, die ersten Kriterien sind jetzt Bestandteil der Lizenzierung. Wir wollen die nachhaltigste Liga in Europa werden.
“Sieben Festangestellte beschäftigt der BVB mittlerweile in seiner Abteilung Corporate Responsibility. Der externe Druck zu mehr Nachhaltigkeit, der mittlerweile auf den Unternehmen lastet, treibt auch die Klubs an. „Die Regulatorik von außen ändert sich derzeit sehr dynamisch und krass, so dass wir fortlaufend langfristige Strukturen schaffen müssen“, so Köhler. Es könne nicht bei Good-Will-Aktionen bleiben „nach dem Motto, wir machen hier mal was, da mal was. Wir müssen nachweisen, wo wir Strukturen verankert haben in den Bereichen Menschenrechte, soziale Verantwortung, Umwelt.“ Daraus leiten sich Fragen ab: Wie gehst du mit deinen Lieferanten um? Wie sind die Lieferketten?
Die Themen sind komplex, viele greifen ineinander, sind nicht nur rein auf die eingangs genannten Säulen soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit fixiert. Beispiel Merchandising: Bei der Produktion von Fanartikeln geht es um Menschenrechte, Umweltschutz und Ressourcen gleichermaßen. Beim Ballspielverein ist man glücklich, nicht nur einen Experten in den eigenen Reihen zu haben: Vor allem aber Ingo Klein hat sich sein gesamtes Berufsleben mit Textilien beschäftigt, viele Jahre für das BVB-Merchandising, nun in der Abteilung CR. Seine Aufgabe: Die Nachhaltigkeit von Produkten und Lieferketten zu garantieren. „Im Nachhaltigkeits-Kontext hängt sehr vieles sehr eng miteinander zusammen“, sagt auch Marieke Köhler.
Was ist Nachhaltigkeit? Wo ist sie am sichtbarsten? Wo bestehen die größten Spannungsfelder?
„Wozu braucht man den Fußball eigentlich?“, fragt Marieke Köhler provokant. Der Fußball verbrennt Energie, er produziert Müll, er verursacht Emissionen, besonders durch Verkehr und Mobilität. „Du willst international spielen, musst also fliegen, und du möchtest, dass dir deine Fans nachreisen. Das gehört zu unserem Kerngeschäft, davon können wir nicht abweichen. Mobilität macht 50 Prozent unserer nachgelagerten Emissionen aus.“ Das aber betrifft die gesamte Veranstaltungsbranche – und wenn man so will auch die komplette Freizeit- und Tourismusindustrie. Die Konsequenz: Wir schließen uns zuhause ein! Das will auch keiner. Es geht darum, verantwortungs- und vor allem rücksichtsvoller mit Ressourcen umzugehen!
„Wir sind der einzige Fußballverein, der allen Fans ein kostenloses ÖPNV-Ticket für die Anreise zu unseren Heimspielen aus dem gesamten Bundesland bietet“, erklärt Carsten Cramer. Ziel ist es, möglichst viele Besucher vom Individualverkehr auf die Schiene zu bringen. Etwa 30 Prozent – also rund 25.000 Zuschauer – nutzen pro Spieltag den ÖPNV. Tendenz: steigend. Rund zehn Prozent kommen zu Fuß oder mit dem Fahrrad. „Wir werden aber nie die Lösung schaffen können, dass alle Menschen mit der Bahn, mit dem Rad oder zu Fuß zu uns kommen können“, weiß Köhler. Zwar gibt es Überlegungen, die Fahrrad-Infrastruktur gemeinsam mit der Stadt Dortmund anzugehen, doch primär ist der Fokus derzeit auf den Individualverkehr ausgerichtet. Wenn schon Autos, dann so wenige wie möglich. Gemeinsam mit der Abteilung Fanangelegenheiten ist ein Mitfahrerportal in Arbeit. Potenzial ist noch da, auch wenn eine Analyse gemeinsam mit Nachhaltigkeitspartner DSW21 ergab, dass überraschend viele Fahrzeuge auf den Parkplätzen mit bis zu vier Fans besetzt sind. Das zeigt auch: Das Thema Nachhaltigkeit hat Eingang gefunden bei den Anhängern. Gemeinsam zum Spiel zu fahren, schont die Umwelt und den Geldbeutel.
Auch bei der eigenen Belegschaft setzt Borussia Dortmund in Sachen Mobilität weiter an. Die Lade-Infrastruktur für E-Fahrzeuge in der Tiefgarage wurde ausgebaut. „Es gibt noch ein paar Schrauben, an denen wir drehen können“, so Cramer. Zum subventionierten Job-Ticket könnte ein subventioniertes Deutschland-Ticket kommen, „um einen weiteren Anreiz zu schaffen, nicht mit dem Auto zu kommen“, so Köhler. Wenn dies auch in der Freizeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einer Verkehrswende führen würde: umso besser.
Der Energieverbrauch der Immobilien ist buchstäblich die größte Baustelle. Die Geschäftsstelle Sport in Dortmund-Brackel ist unter modernsten Gesichtspunkten errichtet worden, unter anderem mit einer Photovoltaik-Anlage. Zur Bewässerung der Trainingsplätze dient eine Zisterne, die Regenwasser speichert. Die Geschäftsstelle am Rheinlanddamm indes ist bereits 20 Jahre alt, das Stadion wird im kommenden Jahr 50. Als es erbaut wurde, kostete der Liter Heizöl zwölf Pfennig, umgerechnet sechs Cent. Dass es heute das 200-fache ist, konnten die Planer nicht ahnen. Energetische Dämmung war seinerzeit ein doppeltes Fremdwort.
Der SIGNAL IDUNA PARK verschlingt so viel Strom im Jahr wie 2.500 Haushalte, so viel Wärme wie 400 Haushalte. Das Flutlicht mag als größter Energiefresser daherkommen, ist es in Wahrheit aber gar nicht, auch deshalb, weil es vor zwei Jahren auf LED umgerüstet worden ist. Der größte Verbraucher in Summe ist die riesige Menge kleiner Verbraucher. Hier setzt man an, beispielsweise durch den Austausch von Kühlschränken und perspektivisch der Nutzung ihrer Abwärme zur Beheizung der Räumlichkeiten. Kaum zu glauben: Die beheizte Fläche im Stadion summiert sich auf 22.000 Quadratmeter. Am Thermostat wurde bereits gedreht. „Gewisse Komfortverluste sind absolut hinnehmbar“, sagt Carsten Cramer, der sich ständig die Frage stellt: „Wie können wir etwas noch effizienter machen?“
Die Verbräuche zu reduzieren, ist die ehrgeizigste Aufgabe. „Da ist die meiste Musik drin“, weiß Köhler. Aber: Für Sanierungsarbeiten steht in jedem Sommer nur ein kleines Zeitfenster zur Verfügung. Und: Diese Maßnahmen sind mit extrem hohen Investitionen verbunden.
Ein interessanter Ansatz liegt unter dem Stadion und führt von der Rasenheizung – die ein Achtel des Wärmebedarfs benötigt – tief in die Erde, wo im 19. Jahrhundert Kohle gefördert wurde. Aus den Ewigkeitslasten des Bergbaus Ewigkeitsnutzen zu generieren, heißt das ehrgeizige Ziel. Das Grubenwasser soll hierbei mittels Wärmetauscher energetisch genutzt werden. Es hat eine Temperatur zwischen 13 und – im nördlichen Teil des Ruhrgebiets, wo besonders tief gefördert wurde – sogar 35 Grad Celsius. Unter dem SIGNAL IDUNA PARK erwarten Fachleute 14 bis 16 Grad. Noch in diesem Jahr soll eine Probebohrung Aufschluss darüber geben, ob diese Art regenerativer Energie für die Rasenheizung und auch für das Warmwasser in den Sanitärräumen genutzt werden kann. Der bisherige Weg, das Wasser im Gasbrennwertkessel auf über 65 Grad aufzuheizen, „hochballern“, sagt Köhler, „und am Ende brauchst du nur 45 Grad für Warmwasser oder für die Rasenheizung“, ist fraglos antiquiert. Kleiner Nebeneffekt: Man macht sich ein kleines Stück unabhängiger von Energie-Importen.
Dazu zählt auch die Solaranlage auf dem Stadiondach. Sie feiert in diesem Jahr ihren elften Geburtstag und hat damit das Ende ihrer Nutzungszeit bald erreicht. Die Planungen für eine neue, deutlich effektivere Anlage laufen. Einher gehen Überlegungen, Batteriespeicher zu errichten, um die Verbrauchsspitzen kappen zu können. Der Traum: Ein Flutlichtspiel vor 81.000 – und die gesamte dafür benötigte Energie wird selbst erzeugt.
„Nachhaltigkeit“, erklärt auch Cramer, „ist für unseren Verein eine absolute Überzeugungsfrage. Sie ist ihm bei der Gründung 1909 mit in die Verantwortung übertragen worden ist, weil die Gründungsväter deutlich gemacht haben, dass wir mehr sind als ein Fußballverein, dass wir etwas bewegen können und eine Vorbildfunktion haben.“
„Wir wollen die nachhaltigste Liga in Europa werden.“
Papierserviette statt Pappteller für die Bratwurst beispielsweise, Holz- statt Plastikgabel. Viele Kleinigkeiten addieren sich. Welche Verpackung hat die bessere Ökobilanz? Im Jahr nach der EM will man Müllpressen anschaffen, um den Abfall zu komprimieren. Der wird dann zwar nicht weniger, muss aber nicht so häufig abgeholt werden. Das spart Fahrten, Energie, Emissionen. Hierfür müssen allerdings erst die Voraussetzungen geschaffen werden, dass der Untergrund stabilisiert werden kann. Eine Biogasanlage wäre ein weiteres Thema, ebenso die Renaturierung einer Industriebrache in der Region gemeinsam mit einem Partner. Hier allein als Dienst an der Gesellschaft.
Nicht alle Ideen lassen sich umsetzen, manchmal auch die naheliegendsten nicht so einfach. Beispiel: Mehrwegbecher. Den gibt es auch im SIGNAL IDUNA PARK, aber nicht überall. Auf der Südtribüne und in den Gästebereichen kommen Einwegbecher zum Einsatz, weil sie als Wurfgeschosse missbraucht werden könnten. Es heißt zwar „Bier muss fließen und nicht fliegen“, doch hier ist die Mitarbeit der Fans gefragt, um perspektivisch komplett auf Mehrweg umstellen zu können. Zur Wahrheit gehört aber auch: Während die Einwegbecher zu 100 Prozent in den Rohstoffkreislauf zurückfließen, müssen die Mehrwegbecher extern gereinigt werden, was Fahrten (siehe oben) erfordert. Die Infrastruktur des 50 Jahre alten Stadions gibt diese Möglichkeit nicht her. Da sind andere Vereine deutlich besser aufgestellt.
Bei der Weiter- und Wiederverwendung von Lebensmitteln wiederum ist die Bürokratie eine Stolperfalle. „Lebensmittel, die schonmal in Benutzung waren, kriegst du nicht verteilt“, erläutert Köhler. Hier geht der BVB einen anderen Weg. Er lädt Bedürftige mindestens einmal im Monat zum Essen ins Stadion ein. Das ist dann weniger eine Maßnahme gegen Lebensmittelverschwendung, sondern gesellschaftliches Engagement. Abfälle zu reduzieren, steht daher auf einem anderen Blatt, „indem du gut kalkulierst, gut einkaufst.“
Maßnahmen im Bereich Ökonomie lassen sich nicht so plakativ beschreiben wie ökologische Themen. Generell sagt Marieke Köhler: „Die Gesetzgebung verschärft sich, Sorgfaltspflichten sind zu erfüllen, insbesondere im Bereich der Lieferketten, Stichwort: Menschenrechte.“ Diversität, Gleichberechtigung, Gender-Pay-Gap stehen ebenso auf der Agenda.
„Wir nehmen hier eine Vorreiterrolle ein.“
Seit elf Jahren besteht die Stiftung „leuchte auf!“. Borussia Dortmund hat sich also schon früh eine gesellschaftliche, soziale Verantwortung ins Stammbuch geschrieben. Die „eigenständige, rechtsfähige Stiftung zahlt sehr viel auf unser Engagement ein, in dem sie das, was uns als Borussia Dortmund wichtig ist, vor allem in der Region verlängert“, betont Marieke Köhler. Sie zählt Beispiele auf, die wir bereits mehrfach und ausführlich in der BORUSSIA vorgestellt haben: „Wir müssen es schaffen, das Thema Bildung in den ökologischen Kontext zu übertragen, haben den BVB-Lerngarten eröffnet oder ein Bienenprojekt am Borsigplatz initiiert.“ Borussia Dortmund will nicht nur über Nachhaltigkeit aufklären, sondern Kindern und Jugendlichen in sozial schwächeren Gebieten die Möglichkeit geben, an Bildungsprojekten teilzunehmen. Ganz besonders wichtig ist allen in Schwarzgelb die Arbeit gegen Rassismus und Antisemitismus. Beispielhaft genannt sind die Bildungsreisen in ehemalige Konzentrationslager des Nazi-Regimes. „Wir stärken Organisationen, die sich mit solchen Themen beschäftigen. Wir nehmen hier eine Vorreiterrolle ein.“
Nicht zu vergessen die Grundschulprojekte, die die Fußballakademie mit Liebe und Leidenschaft außerhalb ihres Kerngeschäfts betreibt, oder die „Nordstadtliga“, die Bildungs- und Sportprogramm in einem ist. Für Übergewichtige gibt es das Angebot „Fußballfans im Training“.
Und warum? „Weil wir aufpassen müssen, dass wir uns nicht selbst unsere Lebensgrundlage entziehen“, mahnt Hans-Joachim Watzke und fordert (nicht nur die eigenen Leute, sondern die gesamte Liga): „Wir müssen noch besser werden!“ Carsten Cramers Frage ist rhetorischer Natur: „Welche Institution verbindet die Menschen dermaßen und nimmt sie so sehr mit wie der Fußball? Dann muss man auch mehr machen als nur Fußballspielen, sondern vorweggehen. Gerade wir als BVB sind in der Lage, Menschen mitzunehmen – dabei immer mit Transparenz, glaubwürdiger Kommunikation und einer nicht-missionarischen Sensibilisierung für das Thema.“ Dafür gibt es eine eigene Abteilung. Vorsteherin Marieke Köhler arbeitet mit ihrem Team daran: „Wir wollen die Strahlkraft Borussia Dortmunds nutzen, um zum gesellschaftlichen Gelingen beizutragen. Wir können dazu beitragen, dass Menschen Ängste verlieren und etwas tun, was sie noch nicht kennen.“
Gemeinsam können wir viel erreichen. Auch kleine Schritte sind Schritte.
Der Nachhaltigkeitsbericht 2023 ist über diesen Link abrufbar.
Autor: Boris Rupert
Fotos: Hendrik Deckers, Alexandre Simoes
Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag.