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Sternstunde mit leuchtendem Kometen
„Gezaubert wie Real Madrid, eiskalt zugeschlagen wie Bayern München“, kommentierte die Westfälische Rundschau eine Gala, die Dortmund auf einem solch perfekten Niveau noch nie gesehen hatte. „Vielleicht vergleichbar mit dem 4:0 in Prag und dem 5:0 gegen Benfica Lissabon“, erinnerte der damalige Ruhr-Nachrichten-Redakteur und Zeitzeuge Klaus Bäcker an die Kindertage des Europapokals. Das 4:0 gegen den AC Mailand verzückte Dortmund und die ganze Fußball-Welt. „Grausam“ – AC-Kapitän Paolo Maldini begnügte sich mit einem Wort, um die 90 Minuten zu kommentieren.
Der kicker zog Traumnoten für eine Mannschaft, die keinen Ausfall, wohl aber an jenem 4. April 2002 einen hell leuchtenden Kometen in ihren Reihen hatte: Marcio Amoroso. „Ein Fußballer zwischen Genie und Wahnsinn, einer, der ein ganzes Stadion mit seiner arrogant wirkenden Spielweise zur Weißglut treiben kann, der es aber auf der anderen Seite aber mit Ball-Artistik und Toren zu faszinieren versteht“, merkte die WR an. Den Elfmeter zum 1:0 hatte er herausgeholt, anschließend selbst verwandelt, danach ein „Tor des Jahres“ und noch eines mit Kopf markiert, ein Hattrick, die Europapokal-Tore Nummer fünf, sechs und sieben für den BVB im elften Spiel – Amoroso riss alle mit. „Der macht Sachen, die keiner kann“, staunte der damalige Sportmanager Michael Zorc.
Das 137. Europapokal-Spiel der Schwarzgelben war eine Sternstunde mit einem leuchtenden Kometen: Amorosos Hattrick (8./34./39.) ließ selbst den ansonsten eher sachlichen BVB-Trainer Matthias Sammer schwelgen: „In dieser Phase ist Amoroso zu unserem absoluten Sieger geworden.“ Der hoch Gelobte tat’s mit links ab: „Ich bin Stürmer. Da muss ich Tore machen. Dortmund hat mich gekauft, damit ich Tore schieße.“
„Diese 90 Minuten werden sich in das Gedächtnis der Fans eingraben, weil nicht nur das Ergebnis gegen einen großen Gegner, sondern auch kämpferisch und technisch einiges geboten wurde“, sagte der damalige Präsident Dr. Gerd Niebaum. Aber auch die 90 Minuten danach, im Rückspiel, gruben sich ins Gedächtnis ein. Das Polster konnte gar nicht dick genug sein, der Vorsprung schmolz vor nur 15.000 Zuschauern in San Siro buchstäblich wie der Schnee in der Sonne. Nach 18 Minuten hatten die Italiener durch Inzaghi und Contra schon die Hälfte der 0:4-Hypothek abgetragen. Damit nicht genug. Der Fußball-Gott war auf Lehmanns Seite, als dieser einen Kaladze-Knaller durch die Beine hatte gleiten lassen, dann aber glücklich mit der Hacke ins Toraus abfälschte – es wäre das dritte Tor nach noch nicht einmal einer halben Stunde gewesen. Spät, aber nicht zu spät, bekamen die Dortmunder das Spiel einigermaßen in den Griff. Inzaghis Elfmetertor in der Nachspielzeit beantwortete Ricken mit dem Treffer zum 1:3-Endstand. Damit war der Spuk beendet. Borussia hatte das Endspiel in Rotterdam erreicht...
Boris Rupert