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Schönstes Stadion der Welt: Der Tempel wird 50
Die Spielstätte an der Strobelallee, für Fans schlicht „der Tempel“, von Presse, Profis und Prominenz nicht selten mit dem Attribut „stimmungsvollstes Stadion der Republik“ versehen, ist nach Vollendung der dritten Ausbaustufe eine der größten Arenen Europas. Ein langer Prozess der Errichtung und Umgestaltung hatte mit den Umbaumaßnahmen zur WM 2006 seinen Höhepunkt erreicht. Dennoch gibt es keine Sommerpause, in der nicht gewerkelt wird im Stadion. Viele Millionen Euro steckte der BVB seit 2011 – nach vollständiger Überwindung der Finanzkrise – in die Renovierung der in die Jahre gekommenen Spielstätte.
So wird nicht nur fast jährlich der Rasen komplett erneuert, sondern zudem die Drainage ausgetauscht, die Südtribüne durch Stützungsmaßnahmen versteift, auf allen Tribünen-Unterrängen der Beton und jüngst die Dachträger saniert. Videokameras mit beeindruckender Digitaltechnik erhöhen die Sicherheit. Zudem sind neue Anzeigetafeln und eine neue Beschallungsanlage installiert worden, die Stadionregie mit zeitgemäßer Technik bestückt, und auch im Kabinenbereich rückten Handwerker an. Schiedsrichtergespann und Doping-Kontrolleure freuen sich nun über großzügige Räumlichkeiten.
Die Stadion-Story geht zurück bis ins Jahr 1961. Damals befasste sich der Sportausschuss erstmals mit der Erweiterung der „Kampfbahn Rote Erde“. Zu jener Zeit des sich anbahnenden Strukturwandels im Revier, der einsetzenden Krise bei Kohle und Stahl, saß das Geld nicht mehr locker. Nach vier Jahren der Diskussionen nahm der Haupt- und Finanzausschuss der Stadt am 5. April 1965 „die Anregung zur Kenntnis, nicht das Stadion Rote Erde auszubauen, sondern durch Einbeziehung der beiden westlichen Übungsfelder und geringfügiger Flächen des Luftbades ein neues Fußballstadion zu errichten“. Die erste Hürde auf dem Weg zu einer neuen Arena, im offiziellen Sprachgebrauch „Zwillingsstadion“ genannt (weil parallel zur Roten Erde errichtet), war genommen.
Den entscheidenden Impuls erfuhr das Projekt jedoch erst, als die Stadt Köln Anfang der 1970er-Jahre auf einen Stadionneubau verzichtete, damit erst den Weg frei machte für eine Bewerbung Dortmunds für die Fußball-Weltmeisterschaft 1974 – und damit für den Bau eines neuen Stadions. Ohne die zu diesem Anlass bereitgestellten Bundes- und Landesmittel wäre das Westfalenstadion nicht zu finanzieren gewesen.
Die Kosten von umgerechnet 17 Millionen Euro wurden zu über 80 Prozent durch Bund, Land, „Glücksspirale“ und Spenden gedeckt. Die Stadt trug von dieser Summe gerade einmal 1,5 Mio. Euro. Sie erkannte gerade noch rechtzeitig, dass jenes Weltmeisterschafts-Turnier 1974 die wohl einmalige Chance bot, eine taugliche Arena für die Zukunft zu errichten. Denn: ohne WM-Zuschlag keine Fördermittel. Zumal die provisorische Tribüne in der Südkurve der „Roten Erde“ bereits Schäden aufwies und es in einem internen Papier des Planungsausschusses hieß: „Nach Abbau dieser Tribüne verringert sich das Fassungsvermögen auf 25.000 Plätze.“
Zwar hatte der Deutsche Fußball-Bund bereits 1966 den Zuschlag für die Ausrichtung der WM 1974 erhalten, doch die Dortmunder Pläne für ein in konventioneller Bauweise zu errichtendes und damit rund 30 Millionen Euro teures Stadion drohten schon kurz darauf in den Schubladen zu verschwinden. Trotz der eindeutigen Ratsbeschlüsse untersuchte die Verwaltung immer wieder die Möglichkeit des Ausbaus der vorhandenen Anlage, in der Hoffnung, Kosten zu sparen.
Sportdezernent Erich Rüttel gelang im Mai 1970 mit seinem Vorschlag, das Stadion als Fertigsystem in Palettenbauweise zu errichten, der entscheidende Durchbruch. Die Kosten halbierten sich, ursprünglich waren 27 Millionen D-Mark (knapp 14 Mio. Euro) geplant; nach Abschluss der Bauarbeiten sollen es nur gut drei Millionen Euro mehr gewesen sein. Wenn man sich vorstellt, wie heutzutage die Preise galoppieren und größere Bauten das Doppelte oder Dreifache des Kalkulierten kosten, war das eine weitere Meisterleistung.
Am 19. Oktober 1970 erteilte der Rat diesen Plänen grünes Licht. Politisch waren beide Lager bis dahin gespalten. Sowohl bei den Sozial- als auch bei den Christdemokraten gab es begeisterte Befürworter und erbitterte Gegner. Die entscheidende Ratssitzung am 4. Oktober 1971 führte dann aber zu einer klaren Mehrheit von 40 Ja- und lediglich 13 Nein-Stimmen. Von da an ging es zügig zur Sache. 14 Tage später wurde westlich der Roten Erde der erste Spatenstich gesetzt.
Bis zum Richtfest am 29. März 1973 wurden 50.000 Kubikmeter Boden bewegt, 34 Bomben aus dem zweiten Weltkrieg geborgen, 1.500 Tonnen Betonstahl verbaut, 7.500 Kubikmeter Beton-Fertigteile eingesetzt sowie weitere 6.500 Kubikmeter Beton und 750 Tonnen Stahl für das Dach verbaut, um Dortmunds Traum von einem neuen Stadion wahr werden zu lassen. In Fertigbauweise entstanden die vier markanten Tribünen mit Sitzplätzen auf den Geraden im Westen und Osten sowie Stehrängen im Norden und im Süden. Gesamtkapazität: 54.000 Zuschauer, davon allerdings nur 17.000 Sitzplätze. Dass der Großteil (47.000) der Plätze überdacht war, wurde vom damaligen Präsidenten des BVB, Heinz Günther, besonders gewürdigt. Es biete auch „dem kleinen Mann ein Dach über dem Kopf“. Seinerzeit keine Selbstverständlichkeit. Am 2. April 1974 war es dann endlich so weit. Eingeweiht wurde das Stadion mit einem Freundschaftsspiel gegen Schalke 04.
An seiner Faszination hat es bis heute nichts eingebüßt. Im Gegenteil. Von der „Scala des deutschen Fußballs“ schwärmen Radio-Reporter, wenn sie von diesem einzigartigen Fluidum berichten: von der Nähe zum Spielfeld, der Akustik durch die komplette Überdachung, gepaart mit der einzigartigen Begeisterungsfähigkeit der Fußballfreunde im Revier. All dies sorgt für knisternde Atmosphäre, die Besucher in ihren Bann zieht und von Gegnern gefürchtet wird.
Zaire, Schottland, Schweden, der amtierende Weltmeister Brasilien sowie der spätere Vize-Weltmeister Holland bestritten 1974 im Westfalenstadion ihre WM-Vorrundenspiele. Dortmund lag plötzlich wieder im Fußball-Fieber. Jene Begeisterung, die in den glorreichen 1950er- und 60er-Jahren herrschte, flammte während der WM-Tage erneut auf und übertrug sich auch auf die Begegnungen in der zweiten Bundesliga. Nicht selten mehr als 45.000 Fans, und damit rund dreimal so viele wie kurz zuvor noch in der „Roten Erde“, pilgerten plötzlich zum BVB, der von seinem neuen Stadion in hohem Maße profitierte. Zwei Jahre später, im Juni 1976, kehrte Borussia in die höchste deutsche Spielklasse zurück, feierte 1983, nach 15-jähriger Abstinenz, das Comeback auf europäischer Ebene, gewann 1989, 2012, 2017 und 2021 den DFB-Pokal sowie 1995, 1996, 2002, 2011 und 2012 auch aufgrund des Stadions und seiner Fans die Deutsche Meisterschaft, zog in vier europäische Endspiele ein.
Bis 1992 erlebten die Besucher das Westfalenstadion 18 Jahre lang weitgehend im Originalzustand. Insbesondere in den folgenden zehn Jahren gab es mehrere einschneidende Veränderungen. 1992 wurde das Fassungsvermögen durch die Umrüstung von Steh- in Sitzplätze auf der Nordtribüne auf 42.800 Zuschauer reduziert, im Rahmen der „Ausbaustufe eins“ schon drei Jahre später zunächst West-, dann Osttribüne um einen Oberrang mit jeweils 6.000 Sitzplätzen aufgestockt. In einer zweiten Ausbaustufe konnte die Kapazität 1999 auf 68.600 erhöht werden. Dabei wurde die Südtribüne, das Epizentrum Dortmunder Fußballbegeisterung, auf 24.454 Plätze und somit zu Europas größter Stehplatztribüne ausgebaut. Für internationale Spiele lassen sich die Stehplätze in Sitzplätze umwandeln (glücklicherweise ist dies aktuell, im zweiten Jahr eines Pilotprojekts der UEFA, nicht notwendig).
Am 6. Mai 2002 begannen schließlich die Arbeiten an der Schließung und dem Ausbau der Eckbereiche. Zunächst wurden im Nord- und Südbereich 15 Meter lange Bohrpfähle in die Erde gebracht und in den Ecken des späteren Treppenhauses platziert. Sie leiten die unglaubliche Last von 3.000 Tonnen pro Tribünendach auf tragfähigen Boden ab. Auf diesen Pfählen liegt das Fundament für die Stützen und Treppenhäuser. Eine weitere hoch anspruchsvolle Ingenieurs-Aufgabe betraf die Konstruktion der Stadionbedachung. Dabei sind die Eck-Pylone im Inneren des Stadions, die das Dach bislang stützten und eine Sichtbehinderung für die neuen Sitzplätze im ausgebauten Eckbereich darstellen würden, durch acht außen installierte gelbe Stahlpylone ersetzt worden.
Die am 13. September 2003 abgeschlossene dritte Ausbaustufe bescherte nicht nur eine Erhöhung des Fassungsvermögens um rund 14.000 Zuschauer. Auch in punkto gepflegter Gastlichkeit setzte der BVB neue Maßstäbe. Mit insgesamt 4.700 Bewirtungs-Plätzen verfügt der SIGNAL IDUNA PARK auch in diesem Bereich über die größten Kapazitäten der Liga. Dennoch stimmen in Dortmund die Verhältnisse: In Relation zum Gesamtfassungsvermögen beherbergen die Gastronomiebereiche lediglich einen bescheidenen prozentualen Anteil von Besuchern.
Die acht 62 Meter hohen gelben Pylone sind seit nun zwei Jahrzehnten markante Ausrufezeichen in der Dortmunder Skyline. Hinzu kommen seit Dezember 2005 die bis zu 3,50 Meter hohen und von den Bundesstraßen 54 und 1 weit sichtbaren Buchstaben des neuen Namensgebers, tagsüber in Schwarz sichtbar, nachts in Weiß leuchtend: SIGNAL IDUNA PARK. Ohne die Unterstützung des Versicherungskonzerns und Finanzdienstleisters würde es Borussia Dortmund womöglich nicht mehr geben, das Stadion wäre wohl ein „Lost Place“.
Die BVB-Freunde haben ihren Tempel nach dem Ausbau ohne Anlaufzeit und mit Stolz angenommen. Die fabelhaften Zuschauerrekorde der vergangenen Jahre sprechen eine deutliche Sprache. Ein atemberaubendes Bauwerk und phänomenale Fans – das sind die besten Voraussetzungen für viele begeisternde Fußball-Feste in der tollsten (und größten) Bude der Bundesliga, die nach WM-bedingten Umbaumaßnahmen (u.a. Entfernung der letzten Sitzschalen aus dem Jahre 1974, Rückbau der „Vortribünen“) und Modernisierungen seit der Saison 2012/2013 nunmehr exakt 81.365 Zuschauern Platz bietet.
Nur ein einziger Fußballer sammelte in diesen 50 Jahren wirklich schlechte Erfahrungen in der „Scala“ an der Strobelallee: der Braunschweiger Danilo Popivoda. Am 23. April 1977 – Würmer hatten den Rasen befallen – stand Popivoda ungedeckt keine sechs Meter vor dem Borussen- Gehäuse, hatte Torwart Horst Bertram umkurvt, holte aus zum Torschuss – und rutschte samt Rasen weg, der keinen Halt mehr fand in den angefressenen Wurzeln. Popivoda landete auf der Nase, während der Ball vor der Linie liegen blieb. Borussia Dortmund und Eintracht Braunschweig trennen sich deshalb torlos 0:0.
Autor: Boris Rupert
Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag.