Interview
Haller: „Ich war auf keiner Wolke, ich war auf dem Mond“
Seb, erst noch einmal Glückwunsch zu diesem herausragenden Erfolg. Du hast Dein Land zum Titel geschossen, doch lange Zeit stand gar nicht fest, ob Du überhaupt am Turnier teilnehmen kannst. Mitte Dezember hast Du Dich im Spiel gegen Mainz am Sprunggelenk verletzt.
„Zunächst einmal vielen Dank für die Glückwünsche! Ja, das stimmt. Umgehend nach der Verletzung im Dezember war ich etwas schockiert. Ich habe mir viele Gedanken gemacht und mich gefragt, ob ich überhaupt beim Afrika Cup spielen kann. Ich wusste nicht, was ich denken soll, bevor ich die Diagnose erhalten habe. Es war ein Gefühl der Angst. Als ich die Diagnose im Anschluss erhalten habe, war ich natürlich etwas enttäuscht. Gleichzeitig war es auch Stress, da ich wusste, dass ich es rechtzeitig packen kann. Auch wenn es ein langer Weg werden würde. Die Tage um Weihnachten herum war ich mit meiner Familie in der Elfenbeinküste. Auf Krücken war das nicht ganz einfach, da ich meinen Kopf nicht wirklich freibekommen konnte vor dem Turnier.“
Du standest aufgrund der Verletzung bei keinem der drei Gruppenspiele im Kader. Ihr habt nur drei Zähler geholt und seid als einer der vier besten Gruppendritten weitergekommen. Wie hast Du das erlebt?
„Das war sehr hart, da ich nicht eingreifen konnte. Wir haben uns sehr lange auf dieses Turnier im eigenen Land gefreut. Es war nicht nur ein großes Event für die Spieler, sondern auch für alle Menschen drumherum, die sich für die Austragung in der Elfenbeinlüste eingesetzt haben. Es hat allen Leuten in diesem Land sehr viel bedeutet. Durch die schlechten Spiele in der Gruppenphase mussten wir auf ein Wunder hoffen, dass dann auch eingetreten ist. Es ist unfassbar, dass wir die Gruppenphase mit drei Punkten und einer Tordifferenz von -3 überstanden haben. Wir wussten, dass wir eine zweite Chance bekommen hatten, die wir einfach nicht wegwerfen durften.“
Du bist mit dem Achtelfinale ins Turnier gestartet. Bis zum Halbfinale musstet Ihr zweimal in die Verlängerung. Wahrscheinlich nervenzehrend, oder?
„Es war sehr aufregend. Aber nicht nur auf dem Platz. Es gab von überall Zweifel und Druck. Du repräsentierst Dein Land vor Millionen von Zuschauern. Es war nicht ganz einfach, gleichzeitig macht es mich natürlich, aber auch stolz. Wir haben stark gekämpft, es war nicht einfach, aber am Ende sind wir ins Halbfinale eingezogen.“
Du hast nicht nur das Finale entschieden. Auch im beim 1:0-Sieg im Halbfinale gegen die DR Kongo hast Du den entscheidenden Treffer erzielt. Das sah kurios aus.
„Ich wusste, dass Gradel den Ball nach seinem Dribbling auf der rechten Seite in die Mitte flanken wird. Während seines Laufes habe mir etwas Platz vor den Verteidigern verschafft. Wäre ich nicht angeschlagen gewesen, hätte ich wohl auch einen Fallrückzieher versucht, aber dann habe ich den Ball lieber per Volley genommen. Es war wahrscheinlich der schlechteste Weg, den Ball zu treffen, aber er war trotzdem drin. So ist das manchmal als Stürmer.“
Und dann kam das Finale in Abidjan um die Krone Afrikas in Deinem Land. Du wurdest der Held dieses Spiels, nimm uns doch mal mit.
„Ich wusste von Anfang an, dass wir es schaffen können. Mein Handy konnte zwei Stunden vor dem Spiel komischerweise keine Nachrichten mehr empfangen. Aber das war auch gut so, ich war sehr fokussiert und wollte mich nur auf dieses eine Spiel konzentrieren. Wir waren gut im Spiel und der Ausgleich durch Kessie hat uns einen richtigen Push gegeben. Wir haben immer dran geglaubt. Bei meinem Tor habe ich irgendwie versucht, den Ball zu erwischen. Als ich ihn dann im Netz gesehen habe, war das ein Gefühl, das man einfach nicht beschreiben kann. Alle Gefühle und Erinnerungen der Vergangenheit kamen auf einmal in meinen Kopf. Ich habe mir gedacht: ‚Ist das wirklich möglich? Ist das die Realität? Endlich!‘ Ich war sehr glücklich, aber habe auch direkt gehofft, dass wir die Führung nun halten. Ich war auf keiner Wolke, ich war auf dem Mond.“
Und dann habt Ihr es über die Zeit gebracht. Die Szenen nach dem Spiel waren unglaublich – wo ordnest Du den Titel für Dich persönlich ein?
„Dieser Titel steht für mich über allem. Die Freude und die Erinnerungen, die wir unserem Land geschenkt haben, sind unglaublich. Es bedeutet uns und allen Leuten in der Elfenbeinküste enorm viel. Die Erwartungen waren sehr groß und Fußball ist dort nicht nur ein Hobby. Es bedeutet den Menschen alles. Diese Trophäe gewonnen zu haben und ein Teil von dieser Geschichte zu sein ist das Beste, was ich mir hätte vorstellen können. Ich habe mir dieses Ende Millionen Male erträumt, und dann ist es wirklich passiert.“
In Dortmund haben Dir sicherlich auch viele Leute die Daumen gedrückt, oder?
„Ja! Ich habe viele Nachrichten von den Jungs und vom Trainer bekommen und habe mich sehr über den Support gefreut. Natürlich auch über das Foto vor dem Finale vom Trainingsgelände. Der Empfang nach meiner Rückkehr war cool. So viel habe ich ehrlicherweise gar nicht erwartet, aber überrascht war ich auch nicht. Ich kenne die Jungs und weiß, dass sie in der Lage sind, Aktionen wie diese vorzubereiten. Mit den Leuten, die nachher alles aufgeräumt haben, habe ich mitgefühlt. Zuhause habe ich auch noch Konfetti in meinem Rucksack gefunden (lacht).“
Du kannst momentan nicht mit der Mannschaft trainieren. Wie ist der Kontakt zum Team dann für Dich?
„Ich sehe die Jungs jeden Tag und mache mein Aufbauprogramm am Trainingsgelände. Ich möchte so schnell wie nur möglich wieder auf den Platz zurückkehren. Ich freue mich, die Jungs im Stadion zu unterstützen und endlich wieder die Gelbe Wand zu sehen.“