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Es geht aufwärts für Handballerin Lena Degenhardt
Lena presst die Lippen zusammen. Der Schmerz ist noch da. „Ich weiß nicht mehr, wie das geht“, sagt sie. „Deshalb bist du hier, um die Bewegung neu zu lernen“, antwortet Tobi, und führt ihr Bein auf die leichte Erhöhung aus Schaumstoff, die Gärtner gerne als Kniekissen nutzen. Der schmucklose Kraftraum im Goethe-Gymnasium ist an diesem Dezembertag kein Raum der Kraft. Aber des Willens. Und der positiven Gedanken. Des Mutes. Der Hoffnung.
Lena Degenhardt (24) arbeitet hier für ihr Comeback. Am 30. September beim Pokal-Aus gegen Bayer 04 Leverkusen hat sie sich das Kreuzband im linken Knie gerissen. Als zweite Nationalspielerin, die auf der Königsposition Rückraum links sowie im Innenblock spielt, wird sie die komplette Saison ausfallen; als zweite nach Dana Bleckmann, die dieses Schicksal nur drei Wochen zuvor ereilt hatte.
Nun liegt Lena auf der Matte; dehnt, stretcht; belastet, entlastet; mit Band, gegen den Ball. Stabilisierung für das instabile Knie. Dabei erzählt sie von ihrem Alltag. Die Schmerzmittel brauche sie nun immer seltener, neulich habe sie schon über die Straße zum Auto joggen wollen; so, als hätte es den Kreuzbandriss nie gegeben. Athletiktrainer Tobias Salewsky hört zu – und verstärkt positiv. Immer wieder bescheinigt er: „Top.“ Und: „Das sieht schon deutlich besser aus als vor zwei Wochen.“ Und: „Du musst erstmal wieder Vertrauen fassen in die natürliche Bewegung.“
„Der erste Schock ist verkraftet“
Tobi spricht ruhig, erklärt genau, achtet auf jedes Detail. Er motiviert, wann immer es möglich ist, er korrigiert, wenn es nötig ist. „Ohne Angst. Nicht mit der Hüfte kompensieren.“ Die Übung lieber langsam, dafür aber sauber durchführen. Es geht auch darum, Fehlstellungen durch falsche Belastungen zu vermeiden.
Wenn der Schmerz mal wieder durchsticht, spricht Lena aus, was sie denkt: „Nur die Harten komm‘ in Garten.“ Ringsherum stehen die Spinning-Räder still, ebenso die Laufbänder. Bis Lena wieder an solchen Geräten trainieren kann, wird es noch dauern. Ausdauer bekommt hier eine andere Bedeutung: Was Lena Degenhardt jetzt vor allem braucht, ist Geduld. Bis sie wieder joggen kann, werden weitere lange Wochen vergehen. Noch ist sie in der Phase der kleinen Schritte.
Lena, vielen Dank, dass Du uns diesen Einblick gewährst. Einfach gefragt: Wie geht es Dir heute?
„Der erste Schock ist verkraftet, mittlerweile habe ich ein gutes Gefühl. Der Blick geht jetzt nach vorne. Ich merke, dass ich Fortschritte mache – auch wenn sie noch klein sind. Es geht bergauf.“
Du sagst es: Die Schritte sind noch klein. Was brauchst Du in dieser Phase der Reha vor allen Dingen?
„Viel Geduld. Und man muss immer positiv bleiben, darf sich von kleinen Rückschlägen, die immer wieder kommen, nicht runterziehen lassen. Man muss immer weiterarbeiten und das Vertrauen ins Knie entwickeln, dass es wieder gut wird.“
Wie bleibt man positiv, wenn einem als Leistungssportlerin das Kreuzband gerissen ist?
„Das ist nicht immer einfach. Aber an der Situation kann ich eh nichts ändern, also bringt es auch nichts, schlechte Laune zu haben oder sich von schlechten Gedanken runterziehen zu lassen. Ich habe klar vor Augen, wieder Handball spielen zu können – das gibt mir viel Energie.“
Gleichwohl wird es diese Momente geben, in denen man verzweifeln könnte.
„Ja, ab und zu gibt es die natürlich – aber: Die guten Tage überwiegen inzwischen wieder.“
Das klingt gut. Wer oder was zieht Dich hoch, wenn da doch mal ein Loch ist?
„Ich rede dann mit Freunden oder telefoniere mal mit meinen Eltern. Aber wirklich: Das kommt nicht mehr oft vor. Ich denke, ich komme mit der Situation ganz gut klar.“
Was einigermaßen bemerkenswert ist, da der Kreuzbandriss nicht Lenas erste schwere Verletzung im Jahr 2023 war. Im März, damals noch im Trikot der TuS Metzingen, und ebenfalls in einem Spiel gegen Bayer Leverkusen, verletzte sich die Rückraumspielerin an der linken Schulter, musste operiert werden, sich schon einmal zurückkämpfen. Besonders bitter: „Ich war körperlich gerade wieder auf einem sehr guten Level. Handballerisch war ich zwar noch nicht wieder da, wo ich sein will, aber auf einem guten Weg. Umso härter war es, da nach nur vier, fünf Spielen wieder rausgerissen zu werden.“
Was hast Du in dem Moment, in dem es passiert ist, gedacht?
„In dem Moment war ich geschockt und habe gehofft, dass es vielleicht ja doch nicht das ist, was befürchtet wurde. Aber das habe ich mir nur eingeredet. Am Anfang war das surreal. Ich habe es nicht richtig begriffen, auch weil natürlich jede denkt: Mir passiert so etwas nicht, mir doch nicht. Da war ich mir absolut sicher.“
Genauso hat Dana Bleckmann auch gedacht – und musste nun zum zweiten Mal die Erfahrung machen, dass es leider anders ist. Inwieweit ist sie nicht nur Leidensgenossin, sondern in dieser Situation auch eine gute Ansprechpartnerin für Dich?
„Dana hat mir sehr geholfen, sie wusste aus eigener Erfahrung, was auf mich zukommen würde. Wir machen die Reha zusammen und sprechen dabei viel miteinander. Ich kann mich mit jeder Frage an sie wenden. So kann ich mit Überzeugung sagen: 2023 war kein gutes Jahr – aber ich habe die Hoffnung, dass 2024 besser wird.“
Wie sieht – mit Blick auf dieses neue Jahr – Dein Fahrplan aus? Macht es überhaupt Sinn, in dieser Phase schon wieder Pläne zu schmieden? Oder brauchst Du sie sogar, um Dich Stück für Stück wieder heraus- und heranzuarbeiten?
„Ich mache mir jedenfalls keinen Stress, sondern schaue, dass es von Tag zu Tag besser wird. Dafür gebe ich alles, und das nach einem groben Fahrplan. Aber ich persönlich habe vor, in dieser Saison eigentlich nicht mehr zu spielen. Ich möchte meinem Knie die Zeit geben, zu verheilen. Wenn es dann etwas länger dauern sollte als bei anderen, dann wäre das halt so. Ich möchte zunächst wieder 100 Prozent fit sein und auch im Kopf frei sein – sonst macht es ja auch keinen Sinn.“
Gutes Stichwort: der Kopf. Wie lenkst Du Dich ab, gerade in der dunklen Jahreszeit?
„Die Tage können lang werden, das stimmt. Deshalb habe ich gerne ein volles Programm. Ich bin von 9 bis 14 Uhr in der Reha, zweimal in der Woche arbeite ich zusätzlich hier mit Tobi, ab und zu schaue ich beim Training vorbei. Und ansonsten gehe ich mal mit Freunden etwas essen, vor allem aus der Mannschaft. Es dreht sich tatsächlich auch in dieser Zeit viel um Handball.“
Der Kontakt zur Mannschaft ist also da.
„Ja, und das ist gut so. Ich bin ja neu hier, erst seit Juli in Dortmund. Dementsprechend habe ich nicht viele Kontakte außerhalb meiner Handball-Bubble. Die aber ist für mich da.“
Du warst schon wieder als Zuschauerin bei den Heimspielen in der Halle. Wie hart ist es, so nah und gleichzeitig doch so weit weg zu sein?
„Das ist für mich ehrlich gesagt das Schlimmste am Verletztsein. Dass man auf der Tribüne sitzt, zur Untätigkeit verurteilt, und dann die anderen sieht; allein beim Aufwärmen, was sonst eigentlich gar nicht so viel Spaß macht. Da möchte man so gerne mit dabei sein. Vor allem, wenn es mal nicht gut läuft, möchte man helfen – kann aber einfach nichts tun. Ich bin froh, wenn ein Auswärtsspiel ist; dann muss ich nicht in der Halle zuschauen. Das tut weh.“
Was kannst Du aktuell für die Genesung tun?
„Derzeit viele kleine Übungen. Mein Knie ist immer noch eingeschränkt. Was die Beugung angeht, bin ich erst bei 95 Grad, und an der Streckung arbeite ich auch noch. Bevor die volle Beweglichkeit nicht wieder da ist, kann ich auch nicht viel mehr machen. Es geht noch immer um die Aktivierung des Muskels – und um neues Vertrauen in den eigenen Körper.“
Das Vertrauen in den eigenen Körper zurückzugewinnen, ist ein zentrales Thema. Wie kann das gelingen?
„Mir fällt das schwer. Bei manchen Übungen frage ich sicherheitshalber nach: Geht das wirklich? Dann merke ich aber, dass es geht – und dass es auch keine Schmerzen verursacht. Mein Gefühl ist, dass es lange dauern wird, bis das Vertrauen wieder komplett da sein wird. Zuallererst muss man selbst dran glauben – und das ist nicht einfach.“
Inwieweit hilft die ruhige und bestätigende Ansprache von Tobias dabei?
„Die ist wichtig, hilft und gibt mir Sicherheit. Wenn Tobi sagt: Das geht, vertraue deinem Knie – dann ist das so.“
„Für uns steht an erster Stelle die Aufklärung; über die Verletzung, den Mechanismus der Verletzung, den Heilungsprozess. Wenn ich den Ablauf kenne, bekomme ich auch wieder eine gewisse Sicherheit“, erklärt Athletiktrainer Tobias Salewsky und führt weiter aus: „In dem Moment, in dem ich mich selbst damit auseinandersetzen kann, erkenne ich auch, wo Abweichungen nach rechts oder links sind; wo ich eventuell intervenieren muss; was mir komisch vorkommt. Wenn ich aufgeklärt bin, kann ich ein gutes Verhältnis zu meiner Verletzung entwickeln. So kann ich mich positiv mit ihr beschäftigen – und nicht mehr nur negativ. Daraus ergeht eine Leitlinie, an der ich mich entlanghangeln kann. Das ist die größte Sicherheit, die wir geben können.“
Tobias Salewsky spricht mit der Erfahrung aus 15 Berufsjahren. Er weiß, dass auf dem Weg zum großen Ziel am Ende, der Rückkehr aufs Spielfeld, viele kleine Schritte warten. „Bis dahin richtet sich die Übungsauswahl in der Nachbehandlung immer danach, wie der Heilungsprozess ist. Wir haben grobe Nachbehandlungsschemata – hinzu gesellen sich aber viele kleine Details. Jede Spielerin ist auch verschieden, reagiert mitunter anders“, erklärt der Athletiktrainer und ergänzt: „Unsere Aufgabe ist es, nach und nach Sicherheit zu schaffen, indem wir Muskulatur aktivieren. Das ist wie Fahrradfahren – wir fangen allerdings erstmal damit an, die Pedale wieder anzuschrauben.“
Welche Wünsche hast Du für dieses Jahr, Lena?
„Ich hoffe, dass ich von Beginn an die Vorbereitung auf die neue Saison mitmachen und wieder ohne Schmerzen Handball spielen kann. Wenn es einigermaßen nach Plan läuft, sollte das klappen. Dann wird es noch mal ein paar Monate dauern, bis ich auch handballerisch wieder dort bin, wo ich sein möchte. Gefühlt werde ich also bei null starten.“
Bist Du von Hause aus mutig?
„Schwierige Frage. Warum fragst Du?“
Weil der Endgegner womöglich doch wieder der Kopf ist. Schließlich soll einer der größten Fehler sein, die man nach der Rückkehr aufs Feld machen kann, in der Szene kurz nachzudenken, zu zögern, Angst vor der Aktion zu haben. Genau das also muss man ausblenden und beiseiteschieben können. Dazu braucht es Mut.
„Das kenne ich von meiner Schulterverletzung. Da habe ich mich anfangs auch oft gefragt, ob ich wohl daran denken würde. Tatsächlich aber war es dann ganz anders; ich habe teilweise vergessen, dass ich diese Verletzung hatte. In dem Moment, in dem ich wieder handballspezifisch trainiert habe, habe ich nicht mehr daran gedacht – und so sollte es sein. Ich hoffe, dass es diesmal wieder so auskommt.“
Es fallen zwei Spielerinnen für eine Position aus. Wie schätzt Du vor diesem Hintergrund die Chancen in dieser Saison ein?
„Es ist natürlich schwierig, zumal wir beide, Dana und ich, auch im Innenblock decken. Wir haben also auch in der Abwehr ein Loch gerissen. Die Belastung für die anderen ist gerade sehr hoch. Die Last verteilt sich auf nur wenige Schultern. Aber wir haben auf jeden Fall die Qualität im Kader; Harma und Haruno machen das super.“
Autor: Nils Hotze
Fotos: Hendrik Deckers
Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag.