Interview
Enrico Maaßen setzt auf den Überraschungseffekt
Du hast binnen weniger Jahre eine steile Laufbahn hingelegt. Drochtersen, Rödinghausen, BVB. Auf welchem Abschnitt Deines Weges befindest Du Dich?
Das weiß ich gar nicht so genau – mache mir allerdings auch nicht so viele Gedanken darüber. Ich versuche immer, das Bestmögliche einzubringen. Mir macht der Job unheimlich viel Spaß, ich stehe gerne auf dem Platz und arbeite mit den Spielern. Darum geht es mir. Alles andere ergibt sich.
Warum geht der Trainer des Meisters der Regionalliga West zur U23 eines Bundesligisten?
Weil Borussia Dortmund ein wahnsinnig großer und sehr, sehr interessanter Klub ist. Hier bekomme ich etwas auch in meiner Entwicklung, was ich in dieser Form noch nicht hatte. Bei meiner ersten Station in Drochtersen ging es um Erfolg, um Ergebnisse. In Rödinghausen ging es dann darum, auch fußballerisch etwas zu entwickeln – was uns gut gelungen ist. Und jetzt geht es darum, auch mit jungen Spielern zu arbeiten, diese weiterzuentwickeln und zugleich sehr erfolgreich zu sein. Zudem gibt es hier viel Knowhow im Umfeld, unter den Trainern und allen handelnden Personen.
Wie definierst Du Deinen Auftrag an dieser so wichtigen Schnittstelle zwischen Junioren und Senioren, an der durchaus viele Menschen beteiligt sind?
Das Wichtigste ist zunächst einmal, sich selbst nicht immer ganz so wichtig zu nehmen. Am Ende bin ich sicher der, der das Große und Ganze lenkt und dafür verantwortlich ist. Aber wir haben einen großen Staff, eine tolle Mannschaft und viele Leute, die bislang schon an der Entwicklung der jungen Spieler beteiligt waren. Jetzt geht es für mich und uns darum, diese Spieler weiterzubringen, attraktiven und erfolgreichen Fußball zu spielen. Dafür möchte ich gerne stehen und dafür werde ich alles geben.
Es geht bei einer U23 ja auch immer um den schmalen Grat zwischen mannschaftlichem Erfolg und individueller Förderung. Wie kriegt man es hin, dass das kein Zwiespalt wird?
Ich glaube, das eine funktioniert nicht ohne das andere. Der Misserfolg kann zwar immer mal wichtig sein für die Entwicklung eines Einzelnen und für jeden – ich glaube aber auch, dass sich speziell junge Spieler schneller und noch besser entwickeln, wenn sie erfolgreich spielen. Und ich glaube, dass es gerade für junge Spieler wichtig ist, eine solche Gewinnermentalität zu erarbeiten und sie in der Persönlichkeit selbst zu verankern. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir jeden Spieler individuell besser machen, aber auch, dass jeder den Hunger hat, das Maximum zu erreichen. Das werde ich versuchen.
Bei seiner vorherigen Station ist ihm das gelungen. Enrico Maaßen hat den SV Rödinghausen als Meistermacher und Pokalschreck verlassen. Als er dort im Sommer 2018 anfing, sah das noch ganz anders aus. Als Nachfolger von Alfred Nijhuis übernahm der junge Trainer die viertschlechteste Defensive der Liga. Sein Vorgehen: Er analysierte, stabilisierte zunächst, forcierte danach das eigene Ballbesitzspiel – und triumphierte auf Anhieb im Westfalenpokal. Am Ende von Jahr eins stand somit nicht nur eine runderneuerte Mannschaft mit einer eigenen, klaren Spielidentität, sondern auch Erfolg. Im DFB-Pokal besiegte Rödinghausen Zweitligist Dynamo Dresden 3:2 nach Verlängerung und zog dann das große Los: FC Bayern München. Nur denkbar knapp mit 1:2 verlor die Maaßen-Elf gegen den Rekordmeister und -pokalsieger.
Und auch in der zweiten Saison sorgte der junge Trainer mit seiner Mannschaft im DFB-Pokal für Furore. Erst im Elfmeterschießen hatte sie gegen Bundesligist SC Paderborn das Nachsehen. In der Regionalliga West war die Mannschaft von Maaßen das Maß aller Dinge. Nach der dritten Rekord-Halbserie hintereinander waren bereits bis zum Winter 38 Punkte verbucht. Bis zum Corona-bedingten Abbruch der Saison hatte der SV Rödinghausen einen Punkteschnitt von 2,4 geholt, in 27 Spielen 66 Tore erzielt und dabei nur 19 Gegentreffer kassiert. Im Ergebnis ist das Ausdruck einer außerordentlich guten Teamleistung.
Eine solche soll auch in Dortmund Grundlage für Entwicklung und Erfolg sein. So war es Enrico Maaßen explizit wichtig, schon vor den ersten Testungen und Tests einmal mit allen Spielern und Beteiligten zusammenzukommen, alle kennenzulernen. Schließlich ist bei der U23 nicht nur der Trainer neu, sondern auch weite Teile der Mannschaft und des Staffs, wie Maaßen sagt. Sie alle gilt es, zu einer Einheit zu formen, und diese dann auf den Platz zu bringen.
Der Platz. Beim Anblick des Spielfelds weiten sich die Augen. Spielfeld bedeutet für Enrico Maaßen Spielwiese.
Enrico, ohne vorab zu viel zu verraten: Aber wie spielt eine von Dir trainierte Mannschaft?
Sehr variabel, sehr offensiv. Das ist das, was den Jungs Spaß macht, und was uns allen Spaß macht, die das Spiel sehen. Und es wird nicht so sein, dass wir jede Woche das Gleiche spielen. Ich möchte manchmal schon den Überraschungseffekt haben. Der Gegner soll nicht immer genau wissen, was wir vorhaben. Zusätzlich hängt die jeweilige Formation natürlich auch von der aktuellen Form der zur Verfügung stehenden Spieler ab. Ich richte mich also sowohl ein wenig am Gegner aus, als auch vor allem an meinen eigenen Spielern. So haben wir für jedes Spiel einen individuellen Matchplan. Grundsätzlich geht es mir und uns darum, viele Chancen zu erspielen und viele Tore zu schießen.
Du hast gerade die Offensive offensiv benannt. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Deine Mannschaften in den vergangenen Jahren zugleich defensiv sehr stabil waren. Wie geht das?
Wenn du neu zu einer Mannschaft kommst, ist es wichtig zu analysieren, wo im Vorjahr die Problemfelder lagen. Die musst du als erstes stabilisieren. Die Balance entwickelt sich dann mit der Zeit. Als ich nach Rödinghausen kam, hatte die Mannschaft gerade 64 Gegentore kassiert – und im Jahr darauf hatten wir die beste Defensive der Liga. Hier ist das aber anders, hier können wir von Beginn an sehr ganzheitlich an die Sache herangehen. Im Grundsatz gebe ich für die Defensive gerne eine klare Struktur vor, an die sich alle halten müssen. Dafür gestatte ich vorne Variabilität, durch die wir dann unberechenbar werden.
Enrico, Hand aufs Herz: Verpflichtet der Blick auf die Vorgänger David Wagner, Daniel Farke und Jan Siewert?
Diese Frage wurde mir in jedem Interview gestellt. Wir haben ja noch nicht mal richtig angefangen. Momentan ist es so, dass ich daran keinen Gedanken verschwende. Das würde auch nicht meinem Naturell entsprechen. Ich denke, es wird eine wahnsinnig interessante Aufgabe. Borussia Dortmund ist ein sehr großer Klub. Das ist etwas anderes, etwas Neues, auf das ich mich auch erst einstellen muss. Ich bin mit absolutem Respekt und großer Vorfreude dabei. Ich habe Lust darauf, dass wir bei all der individuellen Qualität während der Vorbereitung erst mal eine gute Mannschaft werden. Das ist mir sehr wichtig. Ich möchte, dass wir am Tag X top vorbereitet sind; technisch, taktisch, körperlich.
Ist es zutreffend, was man über Dich lesen kann, dass Du nämlich zwei Vorbilder hast: Lucien Favre und Jürgen Klopp?
Das entstammt aus einem sehr frühen Interview. Damals war Lucien Favre noch Trainer in Mönchengladbach, und ich fand, dass seine Mannschaften immer unheimlich intelligent verteidigt haben. Diese klaren Strukturen und die Organisation in seinem Spiel waren beeindruckend. Jürgen Klopps Power-Fußball war damals und ist auch heute Spektakel.
Apropos Jürgen Klopp: Als der neue Profitrakt gerade gebaut wurde, saß er einmal im heutigen U23-Gebäude, sah rüber und sagte: „Das wird gut. Künftig sitzen die Jungs hier, haben ihr Ziel vor Augen, sind aber noch nicht da. Ihnen wird jeden Tag vorgehalten, dass sie noch etwas, noch mehr tun müssen, um dort hinzukommen.“ Ist das ein Standpunkt, den Du teilst?
Wenn Jürgen Klopp das gesagt hat, dann muss es richtig sein. Ich denke, es ist immer gut, wenn es eine Geschichte dazu gibt. Wir haben hier einen hervorragenden Trainingstrakt für die Jugend und uns – und trotzdem muss es natürlich das Ziel eines Jeden sein, einmal dorthin zu kommen.
Angekommen ist Enrico Maaßen im ersten Schritt bei der U23 von Borussia Dortmund. „Das war eine bewusste Entscheidung, so wie ich schon den Schritt nach Rödinghausen mit Bedacht ausgewählt habe. In beiden Situationen gab es auch vorher andere Möglichkeiten“, sagt der 36-Jährige, der aber gerne selbstbestimmt wählen wollte, ab wann und wo er im Hauptberuf als Trainer arbeitet, und dies für sich und seine Familie auch als Lebensmodell ausprobiert.
Seine Frau und der dreieinhalbjährige Sohn sind mit nach Dortmund gekommen. „Das war schon in Rödinghausen so und hat gut funktioniert. Der Rückhalt in der Familie ist groß – und er ist mir wichtig“, sagt Maaßen. Genauso wie die Nähe zum Arbeitsplatz. „Das schafft auch Identifikation.“ Maaßen hätte nicht jeden Tag zwei, drei Stunden auf der Autobahn verbringen wollen – zumal der Trainerjob ja nicht aufhört, wenn man vom Trainingsgelände fährt.
„Es wäre sicher gesund, irgendwann mal abzuschalten. Eine gesunde Work-Life-Balance ist wichtig, und dazu gehört eine gute Familienzeit. Ich bin ein sehr familiärer Mensch“, sagt Enrico Maaßen, fügt aber auch hinzu: „Als Trainer ist es natürlich schwer, das komplett beiseite zu schieben. Ich bin schon jemand, der das mit Haut und Haaren lebt.“
Autor: Nils Hotze
Fotos: Alexandre Simoes
Zur Person: Meistermacher und Pokalschreck
Enrico Maaßen, 36, genannt „Enno“, gebürtiger Wismarer, ausgebildeter Fußballlehrer, diplomierter Sporttherapeut sowie ausgebildeter Sport- und Fitnesskaufmann.
Spieler u.a. bei Hansa Rostock II, SC Verl und SV Drochtersen/Assel, wo er seine Karriere nach zwei Innen- und Kreuzbandrissen im selben Knie 2014 beendete.
Trainer beim SV Drochtersen/Assel (2014-18), den er als Meister aus der Ober- in die Regionalliga Nord führte und dort etablierte und mit dem er im DFB-Pokal gegen Borussia Mönchengladbach (0:1 im August 2016) für Aufsehen sorgte. Und beim SV Rödinghausen (2018-20), mit dem er Erster in der Corona-bedingt abgebrochenen Saison der Regionalliga West wurde und im DFB-Pokal gegen Dynamo Dresden, Bayern München und Paderborn mehrfach für Furore sorgte.
BVB-TV by 1&1: U23: Unser neuer Trainer Enrico Maaßen im Porträt