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Dana Bleckmann: Mitten im Aufbruch
Fürs Krafttraining wählt sie immer die erste Zeit. 8.30 Uhr. Freiwillig. ansonsten sei sie am Vormittag uneffektiv – und ihr Tag kürzer. Dana Bleckmann (22) mag es aber, wenn ihr Tag lang und vollgepackt ist; mit ihrem Journalistik-Studium, bei dem sie ins letzte Drittel geht, und an erster Stelle mit Handball. Auf dem Spielfeld ist sie groß geworden. „Ich bin vom kleinen Mädchen, das überall die Jüngste war, zu einer erwachsenen Spielerin geworden“, sagt Borussin Nummer 66 über sich selbst. Sie steht inmitten eines Umbruchs, den die Mannschaft nach den Abgängen von Torhüterin Yara ten holte und Kapitänin Alina Grijseels in einen Aufbruch formen will.
Dana, mit welchem Gefühl bist Du nach der Sommerpause zum ersten Mannschaftstreffen gegangen?
„Ich hatte eine Riesenvorfreude. Wir hatten diesmal sieben Wochen frei, was für mich relativ lang war. Entsprechend hatte ich richtig Bock drauf; zwar im Wissen, dass es zunächst anstrengend werden würde, aber auch darauf hatte ich mich gefreut. Es reichte mir mit Ausruhen. Ich hatte wieder Lust auf meinen Alltag, mit den Mädels gemeinsam Sport zu machen statt alleine zu joggen und die individuellen Trainingspläne abzuarbeiten.“
Wo und wie hattest Du Deine Akkus nach der langen Vorsaison aufgeladen?
„Ich war eine Woche in Mexiko, danach auf Sylt, mit Freundinnen für ein Wochenende in Travemünde und dann noch zuhause bei meinen Eltern. Ich hatte also genug Zeit, abzuschalten, runterzukommen, was anderes zu machen. Dabei habe ich eine gute Balance gefunden zwischen Ruhe und Entspannung auf der einen und einem gesunden Maß an Fitness auf der anderen Seite. Eine Vorbereitung ist knackig. Da muss man ausgeruht reingehen und vorher viel Energie tanken, um dann genug Power zu haben für eine ganze Saison. Denn die wird immer lang und am Ende anstrengend.“
42 Pflichtspiele in 45 Wochen könnten es werden, dazu über 300 Trainingseinheiten. Das hört sich sportlich an.
„Ja, das klingt nach viel. Aber wenn man erstmal losgelegt hat, dann guckt man von Spiel zu Spiel und hat bestenfalls viel Spaß dabei.“
Zurück zum Wiedersehen in Dortmund: Hast Du denn direkt alle erkannt?
„Ja, selbstverständlich. Die Mädels haben sich nicht wesentlich verändert, und die neuen Gesichter waren auch schon vorher bekannt.“
In der Tat gab es in der Vergangenheit Sommer, in denen quantitativ mehr Fluktuation war. Diesmal aber sind in Yara ten Holte und Alina Grijseels zwei sehr zentrale Figuren gegangen. Das beinhaltet schon einen Umbruch, oder?
„Es ist ein kleiner Umbruch, keine Frage. Zwei wichtige Spielerinnen sind weg – dafür sind aber auch gute neue Spielerinnen gekommen. Ich bin gespannt, wie wir das meistern werden und wie sich die Mannschaft zusammenfinden wird. Ich bin aber ziemlich zuversichtlich. Ein Umbruch ist für jede immer auch eine Chance.“
Inwieweit verändert das auch das Mannschaftsgefüge bzw. dessen Statik?
„Ganz bestimmt tut es das, allein weil die beiden auch Kapitäninnen waren. Die Rollen werden also neu verteilt, andere Spielerinnen werden diese Lücken füllen und Verantwortung übernehmen. Es mischt sich einmal durch. Aber das wird schnell und fast von allein gehen, dann werden wir eine neue, stabile Struktur in der Mannschaft haben.“
Wie zentral steht Dana Bleckmann da?
„Das werden wir sehen. Ich werde meine Rolle und meinen Platz finden; jede wird ihren Platz finden.“
Aber Du scheust Dich vor nichts?
„Nein. Ich werde die Aufgabe annehmen, die mir die Mannschaft zuteilen wird.“
Dana, lass uns noch einmal genauer auf Dich und Deine Entwicklung seit den ersten Spielanteilen in der Bundesliga-Saison 2017/18 schauen. Was siehst Du da?
„Ich bin vom kleinen Mädchen, das überall die Jüngste war, zu einer erwachsenen Spielerin geworden. Ich bin zwar immer noch relativ jung, die drittjüngste in der Mannschaft, aber meine Rolle hat sich komplett verändert; von ich darf mal dabei sein und meine ersten Minuten in der Bundesliga sammeln über eine schwere Verletzung hin zur Gegenwart, in der ich wieder spiele – viel spiele und sehr viel Anteil habe. Das hat sich zwischendurch auch so ergeben und gefügt, ohne dass ich es richtig mitbekommen habe.“
Wohl der, die das mit 22 Jahren von sich behaupten kann. Und interessant, wie sich die Rolle desselben Menschen ändert. Mit mehr Spielzeit geht ja auch mehr Verantwortung einher. Gibt es auch Dinge, die Du aus Deiner Zeit als „Küken“ heute vermisst?
„Nein, würde ich nicht sagen. Ich bin froh, dass ich aus der Rolle raus bin. Ich war lange genug die Kleine. Heute übernehme und trage ich gerne Verantwortung. Das bringt natürlich Konsequenzen mit sich, zum Beispiel dass der Druck auch mal höher ist.“
Wie gehst Du mit Druck um?
„Ich versuche mir in erster Linie, keinen Druck zu machen. Ich möchte vor allem Spaß an dem haben, was ich tue. Handball spielen ist das, was ich am liebsten mache, und der Traum, den ich immer hatte. Deswegen möchte ich lieber dankbar sein als mir ständig Druck zu machen. Natürlich zweifelt man, zweifle auch ich manchmal, aber eine gewisse Leichtigkeit ist der Schlüssel für Spaß und damit für Erfolg. Ich möchte also trotz all der harten Arbeit, dem Fleiß und der Disziplin, die es braucht, locker bleiben. Das eine hat für mich nichts mit dem anderen zu tun.“
Was machst Du, um locker zu bleiben?
„Bestimmte Rituale habe ich nicht. Gut, vor einem Spiel mache ich gerne einen Mittagsschlaf und gehe dann noch einmal an der frischen Luft spazieren. Ansonsten aber bereite ich mich in der Regel mit einer Videoanalyse aufs Spiel vor. Wenn ich mich richtig auf ein Spiel freue, dann habe ich übrigens auch weniger Druck. Natürlich bin ich auch mal nervös, wenn das Rekordspiel vor 11.000 Zuschauern in der Westfalenhalle ansteht oder ein entscheidendes European-League-Spiel, wenn es um Weiterkommen oder Rausfliegen geht, aber wenn ich es genieße und Bock habe auf das, was ich da mache, dann geht’s ganz gut.“
Worin findest Du Ablenkung, beziehungsweise was füllt Dich und Deine Tage noch aus?
„Ich studiere Journalismus, online, also von zuhause und ganz flexibel, so wie es in den Trainingsplan passt. Handball steht bei mir an erster Stelle – aber ich möchte schon jetzt etwas für die Zeit danach machen. Ich möchte das in der Regelstudienzeit von drei Jahren durchziehen, habe nur noch zwei Semester bis zum Abschluss. Natürlich haben wir manchmal auch keine Zeit, aber in einer normalen Trainingswoche mit Einheiten morgens und abends kann man dazwischen eine Menge schaffen.“
Und was genau möchtest Du damit mal machen?
„Da bin ich noch offen. Ich schreibe zwischendurch schon für die Zeitung, habe auch Praktika gemacht. Ob das am Ende ein Job bei der Zeitung, beim Radio oder vor der Kamera wird, weiß ich aber noch nicht.“
Du hast vorhin Deine Verletzung angesprochen: In welchen Momenten denkst Du heute noch an Deinen Kreuzbandriss aus dem September 2021?
„Daran denke ich selten, auf dem Spielfeld gar nicht. Mit der Vorbereitung im Sommer 2022 war ich wieder voll da. Ich habe das Glück, dass ich jemand bin, der diesbezüglich wenig nachdenkt, sondern einfach macht. Ich vertraue meinem Körper; das habe ich vor der Verletzung gemacht und das mache ich jetzt immer noch. Meine Einstellung ist: Wenn es nochmal passiert, dann passiert es halt nochmal. Dann gehe ich da nochmal durch, mache nochmal eine Reha, schaffe es nochmal da raus. Ich habe keine Lust mit der ständigen Angst zu spielen, und mit der Frage: Was ist, wenn’s wieder passiert? Das ginge auch nicht ...“
...weil man mit permanenter Angst vor einem falschen Schritt nie das höchstmögliche Leistungslevel erreichen könnte?!
„Davon bin ich überzeugt, ja. Mit angezogener Handbremse zu spielen, ist keine Lösung. Dann schafft man’s in der Bundesliga nicht, dann reicht es nicht. Ich muss in jedem Spiel alles abrufen, was da ist, um mithalten zu können. Die anderen sind ja auch gut. Wer zweifelt, kann nicht gewinnen.“
Du hast das Rekordspiel vor 11.000 Zuschauern und die European League angesprochen. Es gab in der vergangenen Saison viele tolle Erlebnisse. Was war Dein Highlight?
„Das Rekordspiel in der Westfalenhalle war ein absolutes Highlight, so etwas hatte keine von uns zuvor erlebt. Das war Gänsehaut pur, ein cooles Spiel. Und dass wir dieses enge Spiel am Ende auch noch gewinnen konnten, war natürlich besonders. Diese Chance einmal bekommen zu haben, war großartig. Ich hoffe, dass wir damit ein paar Fans anstecken und überzeugen konnten. Vielleicht können wir das ja noch einmal wiederholen – das wäre ein Traum. Die European League war insgesamt erlebnisreich. Es waren spannende, enge, unfassbare Spiele dabei, wie bei unserer Aufholjagd gegen Nantes, als wir einen Neun-Tore-Rückstand aus dem Hinspiel im Rückspiel aufgeholt haben. Das war unglaublich, wir haben von uns selbst nicht erwartet, dass wir so eine Kraft würden aufbringen und so etwas schaffen können. Und dann noch dieses Final Four, das war natürlich die Krönung.“
Ist speziell das Wochenende in Graz, diese Achterbahnfahrt der Gefühle im Final Four, Motivation und Energiefreisetzer für die kommende Saison?
„Total! Das sind die Momente, in denen sich alles auszahlt, in denen Du denkst: Dafür mache ich das alles, dafür trainiere ich jeden Tag wie ne Blöde, dafür habe ich mich zurückgekämpft. Natürlich war es in dem Moment tragisch, als wir im Halbfinale im Siebenmeterwerfen rausgeflogen sind. Aber genau das sind die Momente, aus denen man ganz viel für seine weitere Karriere mitnehmen kann. Diese Erfahrung gibt uns viel Energie für die neue Saison.“
Womöglich sogar mehr, als wenn ihr gewonnen hättet.
„Ja, vielleicht. Dadurch, dass wir in der Platzierung nicht das Optimum erreicht haben, ist zwangsläufig noch Luft nach oben. Es ist schon mein Traum beziehungsweise mein Wunsch, das Final Four noch einmal zu erreichen.“
Was ist generell drin in der neuen Saison?
„Eine Saison ist lang, und auch der Weg in ein Final Four ist es. Wir werden recht schnell sehen, wohin die Reise gehen kann, aber ich möchte jetzt nicht über konkrete Ziele sprechen. Natürlich wollen wir das Bestmögliche erreichen. Wenn wir gut harmonieren und als Team letztlich funktionieren, dann können wir einiges erreichen.“
Autor: Nils Hotze
Fotos: Hendrik Deckers