Interview
Alexander Meyer über Rückschläge, Debüts und ein besonderes Ritual
Vor einem Jahr hast Du gegen Fürth, Nürnberg und Düsseldorf gespielt, heute gegen Kopenhagen, Leipzig und Manchester. Musst Du Dich manchmal kneifen?
„Wenn man die Spiele sieht und alles drumherum – die Champions League, die Bundesliga, auch die Gegner –, ist das eine ganz andere Welt. Das muss man sich schon ein-, zweimal sagen, damit man das auch wertschätzt und einordnet. Am Ende versuche ich die Spiele aber auch nicht zu groß aufzuhängen. Es gilt, meinen Job zu machen und der Mannschaft zu helfen, die Bälle zu halten. So fahre ich ganz gut damit.“
Wann hast Du erfahren, dass Du gegen Kopenhagen Dein Debüt für den BVB geben wirst?
„Einen Tag vorher beim Abschlusstraining ist Greg reingegangen. Nach dem Training kam der Trainer zu mir und sagte, dass es wohl nicht so gut aussieht. ‚Bereite dich gut vor, du hast es bisher super gemacht. Deswegen freue dich einfach auf das Spiel‘, hat er gesagt.“
Wie unterscheidet sich die Vorbereitung als Startelf-Spieler von der als Ersatztorwart?
„Der Fokus ist noch einmal höher. Man kommt von der Konzentration auf ein ganz anderes Level, wenn man weiß, dass man sich auf ein Spiel vorbereitet. Wenn man Nummer zwei ist und auf der Bank sitzt, bereitet man sich auch vor. Man muss ja auch immer bereit sein, wenn etwas passiert. Aber man kommt vom Fokus, von der Konzentration nicht auf das Level, als wenn man weiß, dass man spielt. Das ist schwierig zu imitieren.“
Und dann stehst Du auf dem Platz bei der Champions-League-Hymne. Warst Du nervös?
„Ja, ich habe mich tierisch gefreut, als ich die Hymne gehört habe. Ich hatte auch Freudentränen in den Augen und musste ein paarmal schlucken. Man hat eine gewisse Anspannung vor Spielen. Die war noch ein bisschen größer als sonst, aber so war sie immer noch auf einem Level, das gut war, das auch wichtig war für mein Spiel. Und am Ende habe ich es auch einfach nur genossen. Es war ja mein erster Pflichtspieleinsatz für Borussia Dortmund und den genießt man einfach.“
Wie war Dein erstes internationales Auswärtsspiel in Manchester?
„Auch die erste Auswärtsreise in der Champions League ist etwas Besonderes, dann auch noch nach England. ManCity ist aktuell eine der besten Mannschaften. Das war ein Highlight nach dem anderen. Ich habe versucht, alles zu genießen und aufzusaugen. Trotzdem ist es, wie schon gesagt, am Ende ein Fußballspiel wie jedes andere, auch wenn drumherum viel los ist. Jetzt kommt noch das Spiel gegen Schalke, aber durch die Pause danach wird es in den nächsten Tagen noch einmal Zeit geben, alles Revue passieren zu lassen und etwas durchzuschnaufen.“
Lass uns noch einmal auf die Anfänge Deiner Karriere blicken. Als A-Jugendlicher warst Du nah an den HSV-Profis, musstest aber ein Jahr aussetzen wegen einer Schulterverletzung. Ist da ein Traum geplatzt?
„Ich war damals mit im Wintertrainingslager der Profis in Dubai, habe auch ein richtig gutes Jahr gespielt in der A-Jugend. Ich war unter der Woche oft bei den Profis und habe gehofft, dass ich oben die Nummer drei und in der U23 spielen werde. Für einen jungen Spieler gibt es nichts Besseres, als auf diesem Niveau zu trainieren. Dann kam die erste schwere Verletzung. Ich habe mir die Schulter ausgekugelt und der Arzt hat gesagt, dass ich mindestens zwölf Monate ausfallen werde. Da war ich mit 18 Jahren in einem Alter, in dem ich so etwas gar nicht kannte. Das war der erste richtige Rückschlag.“
Vom Hamburger SV bist Du zum TuS Havelse in die vierte Liga gewechselt. Ein Rückschritt?
„Ich war zunächst wieder fit, aber die HSV-Verantwortlichen hatten einen anderen Torwart geholt, sie mussten die Position ja auch wieder besetzen. Ich habe nicht viele Spiele gemacht, und mir fehlte nach dieser langen Zeit auch etwas der Spaß am Fußball. Ich habe gesagt, dass ich noch ziemlich jung bin und endlich wieder spielen möchte. Dann kam der Kontakt zu Havelse, wo André Breitenreiter Trainer war, über meinen alten Torwarttrainer Richard Golz. Wir hatten dort eine sehr erfolgreiche Zeit und haben sogar in der ersten Runde im DFB-Pokal den 1. FC Nürnberg geschlagen. Doch ein paar Monate später hatte ich die gleiche Verletzung an der anderen Schulter. Das war der zweite große Rückschlag. Ich wusste, was in der Reha auf mich zukommt. Das hat ‚nur‘ zehn Monate gedauert. Als ich wieder fit war, bin ich im ersten Spiel zehn Minuten vor Schluss im Rasen hängen geblieben, hatte dann einen Knorpelschaden im Knie und fiel noch einmal sechs Monate aus. Das waren die drei Verletzungen, die – gerade wenn man 18, 19, 20 ist – mich dann extrem zurückgeworfen haben.“
Hast Du auch einmal ans Aufgeben gedacht?
„Die erste Verletzung war schon heftig, das kannte ich gar nicht. Aber jede Verletzung war noch einmal anders. Man zweifelt ein bisschen. Ich bin generell sehr sportbegeistert und war von klein auf auch immer viel draußen. Und dann ist man viel zu Hause, muss seine Reha-Maßnahmen durchführen und kann sich nicht mehr so austoben. Natürlich gab es dann auch Zweifel. Ich habe versucht, das Beste daraus zu machen. Ich habe damals mein Abitur gemacht und ein Fernstudium begonnen, habe eine Trainerausbildung gemacht und Torwarttraining gegeben, um auch einen Plan B zu haben und die Zeit optimal zu nutzen.“
Nach vier Jahren in Havelse bist Du zu Energie Cottbus gewechselt. Wie blickst Du darauf zurück?
„Cottbus spielte zwar auch in der Regionalliga, aber das war etwas ganz anderes. Dort hatten wir Profibedingungen – Trainingszentrum, Rasenplätze, das war wie ein Zweitligist. Wir hatten auch immer 8000 bis 10000 Zuschauer in der Regionalliga. Dort habe ich viel gespielt. Zwischendurch hatte ich mal einen Innenbandanriss im Knie, damit war ich elf Wochen raus. Aber im Vergleich zu dem, was ich sonst kannte, war es keine große Verletzung. Es war nur ein Jahr in Cottbus, aber sehr intensiv und eine schöne Zeit.“
Anschließend ging es zum VfB Stuttgart. Warum bist Du erstmals als Nummer zwei dorthin gegangen?
„Wir haben damals mit Cottbus gegen Stuttgart im DFB-Pokal gespielt und haben ein gutes Spiel gemacht. Die Verantwortlichen hatten mich vorher schon auf dem Zettel und weil Mitch Langerak nicht mehr die Nummer zwei sein wollte, haben sie einen neuen Torwart gesucht. Sie haben mich in dem Spiel gesehen und ich bin dann zwei Tage vor Ende des Transferfensters als Nummer zwei nach Stuttgart gewechselt, um nah an der Bundesliga zu sein. Das ganze erste Jahr war ich die Nummer zwei und im zweiten Jahr habe ich mir einen Kreuzbandriss in der Vorbereitung zugezogen, durch den ich sechs, sieben Monate ausgefallen bin. Das letzte halbe Jahr war ich dann nur noch die Nummer drei. Wir hatten viele Trainerwechsel, der Vertrag lief aus…“
Kann man sagen, dass Du dann bei Jahn Regensburg den Durchbruch geschafft hast?
„Auf jeden Fall. Ich bin ja erst mit 26 Profi geworden, damals in Stuttgart. Und mit 28 habe ich erst meine ersten Profispiele gemacht in Regensburg in der zweiten Liga. Es war sehr wichtig, dass ich das Thema Gesundheit in den Griff bekommen habe. Ich habe auch viel dafür getan, habe meinen Körper immer besser kennengelernt. In den drei Jahren war ich komplett verletzungsfrei und bin stabil geworden. Wenn die Gesundheit passt, kommt die Leistung von allein. Man bekommt ein anderes Selbstverständnis, wenn man im Profibereich seine Spiele macht. Ich weiß, was ich kann, und konnte mich auf dem Niveau als Nummer eins entwickeln. Auch mit der Mannschaft hatte ich sehr erfolgreiche Jahre bei Jahn Regensburg.“
In Regensburg hast Du Dir auch einen Ruf als „Elfmetertöter“ erworben, u.a. weil sich die Mannschaft im Pokal 2020/21 dreimal in Serie im Elfmeterschießen durchgesetzt hat und Du fünf Strafstöße pariert hast. Kann man das trainieren?
„Ich hatte vorher eine normale Quote. In meinem zweiten Jahr sind wir dreimal weitergekommen und das jeweils im Elfmeterschießen, wo ich immer glänzen konnte. Das war für mich etwas Besonderes, als wir bis ins Viertelfinale gekommen sind. In der Liga habe ich noch einige Elfmeter gehalten, da hatte ich echt eine super Quote. Trainiert haben wir das aber nicht. Wir haben uns mit dem Torwarttrainer sehr gut vorbereitet und verschiedene Schützen angesehen. Dann war es auch viel Instinkt und das Quäntchen Glück, das man immer braucht.“
Wie beschreibst Du Dein Torwartspiel?
„Ich halte es für wichtig, dass man von hinten Ruhe ausstrahlt. Die Mitspieler sollen wissen, dass da hinten einer ist, auf den man sich verlassen kann, der jederzeit anspielbar ist, sowohl mit dem Fuß als auch bei hohen Bällen. Ich bin auch positiv verrückt, als Torwart muss man das sein, und bin für jeden Spaß zu haben. Auf dem Platz kann es auch mal laut werden. Ich mag es auch gerne zu coachen, zu kommunizieren und Verantwortung zu übernehmen.“
Warum hast Du Lust auf die Rolle als zweiter Torwart beim BVB?
„Damals in Stuttgart ist es mir verwehrt geblieben, in der Bundesliga zu spielen. Dann bin ich nach Regensburg gegangen und habe drei Jahre lang meine Spiele gemacht. Aber ich will das Maximum in meiner Karriere erreichen und für mich war es immer das Ziel, unbedingt noch in der Bundesliga zu spielen. Als das Interesse von Borussia Dortmund kam, brauchte ich nicht lange zu überlegen. Das ist eine ganz andere Bühne und ein anderes Niveau. Wenn man aus der zweiten Liga kommt und in die erste Liga wechselt, weiß man natürlich auch, dass man sich hintenanstellen muss. Ich wusste, wie meine Position hier in Dortmund ist. Aber ich bin trotzdem jemand, der immer gewinnen will, auch jedes Trainingsspiel. Ich will mich reinhauen, besser werden, hart arbeiten. Mit der Anzahl an Spielen hier ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ich irgendwann spiele. Auch wenn man niemandem wünscht, dass etwas passiert, ich kenne mich ja selbst mit Verletzungen aus. Aber auch aufgrund der Belastungssteuerung braucht man über die Saison den ganzen Kader in den drei Wettbewerben. Wenn etwas passiert, will ich da sein. Deshalb fiel mir die Entscheidung leicht.“
Wie ist die Zusammenarbeit im Torwartteam?
„Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, auch mit Matze Kleinsteiber, dem Torwarttrainer. Wir kommen gut miteinander aus, es ist lustig. Torhüter sind immer etwas eigen. Wir können über einiges lachen, haben aber auch einen guten Fokus. Jeder versucht, alles rauszuhauen, damit wir unter der Woche und am Wochenende auch erfolgreich sind.“
Vor jedem Spiel malst Du mit den Fingern Kreuze ans Tor. Warum?
„Ich habe nicht viele Rituale, aber das ist über die Jahre eins geworden. Ich mache die Kreuze links, rechts und an die Latte in der Hoffnung, dass Latte und Pfosten mein Freund werden. Die können ja auch noch helfen, das Tor abzudecken, sodass man sich kurz noch mit ihnen verbündet.“
Rückblickend auf Deine bisherige Karriere: Was ist Dein bislang schönstes Fußballerlebnis?
„Das habe ich die letzten Tage erlebt: erst einmal das erste Champions-League-Spiel gegen Kopenhagen, aber auch das erste Bundesliga-Spiel und das erste Auswärtsspiel in der Champions League gegen einen Verein wie ManCity. Ich glaube, alle drei bisherigen Spiele sind auf einer Ebene. Natürlich bleibt das erste Spiel genauso wie das erste Bundesliga-Spiel immer in Erinnerung, auch wenn wir gegen Leipzig verloren haben. Das wollen wir am Wochenende gegen Schalke umso besser machen. Das wird auf jeden Fall auch noch ein Highlight und ein schönes Erlebnis.“
Interview: Christina Reinke